Radfahrer

Polterreghost und dem seine Freunde

Landschaft


Reise nach Söke/Türkei

Und nun kommt der Report über meinen Freiwilligendienst in der Türkei.

Reise nach Istanbul

Am Montag, den 28. Oktober 2002 um 7.30 Uhr startete ich meine Reise zum Freiwilligendienst in der Türkei mit einem gut bezahlten Rückfahrticket und vom Wiesbadener Hauptbahnhof nach Frankfurt und dann mit dem direkten Zug weiter Richtung Budapest. Das Unwetter der vergangenen Nacht hatte sich auch auf diese Züge ausgewirkt und zu einer richtigen Kettenreaktion beigetragen:

Zunächst erreichte ich in den Abendstunden desselben Tages einige Minuten später als geplant den Bahnhof Budapest-Gelati. Und wegen weiteren 20 Minuten Sitzen in der Metro bis zum Budapester Bahnhof Celesti war der bereits um 19.10 nach Istanbul fahrende Nachtexpreß nicht mehr zu erreichen. Derweil schien die Armut schon hier in Ungarn - zumindest bei subjektiver Wahrnehmung - ausgeprägter zu sein als in Deutschland. Trotz der unabweisbaren Reservierung eines Liegeplatzes in dem Nachtexpreß, durfte ich nun auf solche Bequemlichkeit verzichten. Der nächste Nachtexpreß in die Türkei wäre nämlich erst wieder 24 Stunden später gefahren. Da war ich doch froh, daß ich an dem Montag Abend wenigstens eine Etappe weiter kam und zwar mit einem relativ günstigen Sitzplatz im Zug nach Bukarest. (An Bequemlichkeit mangelte es nicht, da der Zug nicht sehr voll war und ich überwiegend eine ganze Sitzreihe einer Zugkabine beanspruchen konnte.) Langweilig wurde es indes nicht. Denn u.a. in meinem Abteil hatte ich zwei nette Kerle getroffen, die ungefähr in meinem Alter waren. Leider mußte einer von beiden (, der gerade zuvor Schweden und Frankreich besichtigt hatte,) an der ungarisch-rumänischen Grenze mitten in der Nacht den Zug verlassen und die Zollbeamten begleiten; am frühen Morgen entstieg der andere ebenfalls das Verkehrsmittel. Kurz darauf kam ein ziemlich zerlumpter Typ an meine Kabine herangekrochen, weckte mich jäh aus meinem Halbschlaf, indem er die Kabinentür aufriß und versuchte durch jeweilige Handzeichen Geld, Zigaretten bzw. Feuerzeug, Essen und Trinken zu erbetteln. Ich wußte natürlich nicht, ob eine ehrliche Haut in diesem Menschen steckte. Na ja, dachte ich mir, Kleinigkeiten an Almosen werden mir nicht schaden und so warf ich ihm einige Euro-Münzen, eine Cola-Pfandflasche und etwas zum Knabbern in seine Hände; Zigaretten oder Feuerzeug konnte ich jedoch nicht anbieten.

Rumänien zeigte seine ganze Schönheit hauptsächlich, als die Eisenbahn, - in der ich saß -, holpernd durch die idyllische Landschaft der Karpaten schlich, während der Schnee plötzlich aus allen Wolken fiel. Nach Ankunft in Bukarest, dienstags zu Mittagszeit, hatte ich wieder einen möglichen Anschlußzug verpaßt; den nächsten hätte ich erst abends nehmen können - eine Variante, die sicherlich klüger gewesen wäre. Stattdessen setzte ich meine Reise bis zur bulgarischen Grenzstadt Ruse auf unterschiedliche Weise fort. Nach mehreren Komplikationen erhielt ich tatsächlich noch am selben Abend eine Zugverbindung bis ins bulgarische Svinengrad im Dreiländereck zur Türkei und zu Griechenland. Da nun, mittwochs ca. um 9.00 früh, wieder einmal kein baldiges Weiterkommen per Bahn möglich erschien (nächster Zug um 1.00 nachts), versuchte ich zunächst mit samt meiner Bagage zu Fuß loszumarschieren. Glücklicherweise traf ich einen hilfsbereiten Anwohner, der mich immerhin mit seinem Auto unentgeltlich bis zur türkischen Grenze brachte. Doch auf dem schätzungsweise einen Kilometer langen Weg durch den Zollbereich hatte ich mich alleine durchschlagen müssen. Hinter der Demarkationslinie konnte ich mit zwei Kleinbussen bis zum Bahnhof von Edirne, eine Provinzhauptstadt im europäischen Landesteil Thrakien, gelangen, nachdem Versprechen gegenüber den netten jungen Kontrolleuren, ihnen das Lire-Geld- für das Fahrticket übergeben zu können, sobald ich einen Bankautomaten am Zielort aufgesucht hätte. Selbst jene Bahnstation von Edirne wird anscheinend nicht besonders häufig von Zügen frequentiert. Der nächsten Zug nach Istanbul wäre angeblich erst am Donnerstag ca. um 7.00 Uhr gefahren. Also entschied ich mich dafür, für den letzten Teil der Strecke den Bus zu benutzen. Nach der Ankunft am Busbahnhof in Istanbul und der Weiterfahrt mit der Metro bis zur Station 'Aksaray' sowie dem Herumirren durch die belebten und dunklen Straßen des einstigen oströmischen Konstantinopels, entschloß ich mich schließlich - trotz schlechter Erfahrung - doch dazu, mit einem Taxi bis zu dem für mich reservierten 'Cordial House' bei Çemberlitas zu gelangen. Tatsächlich schien es so, daß der Taxi-Fahrer sich nicht richtig in der wuchernden Weltstadt auskannte, weshalb noch einige Minuten vergingen, bis ich mich endlich nach ca. 12-stündiger Verspätung in meinem Bett in jenem Gasthaus für Jugendreisegruppen ausruhen konnte.

Erste Bekanntschaften mit weiteren FreiwilligendienstlerInnen

Im 'Cordial House' traf ich auf die anderen Arbeitsreisenden. Als erstes stieß ich auf einen Schweizer im Schlafraum der Jungen. Nach und nach lernte ich zum Beispiel eine Koreanerin kennen, die sich sozusagen gerade auf der Durchreise Richtung Ägypten und Jordanien befand, oder einige TeilnemerInnen aus Frankreich, die bereits den Topkapi-Palast und die Hagia Sophia besucht hatten, - eine ehemalige Moschee, welche 1934 zu einem Museum umgewandelt worden war. Wenig später spürten wir gemeinsam ein Restaurant auf, wo nach Absprache Döner Kebap für das Abendessen bestellt wurde. Doch da mußte wohl ein Mißverständnis unterlaufen sein, denn ich wollte gar keinen Döner und hatte meine eigene Bohnen-Kartoffelpüree-Kreation beordert. Obendrein sahen diese komischen Peperoni-Tomaten-Burger-/Fleischgeschnetzel-Sandwiches gar nicht aus wie die typischen türkischen Döner-Kebaps, welche mir doch aus meiner Heimat Deutschland vertraut sind!

Donnerstag, 31. Oktober

Am nächsten Tag liefen meine Reisetruppe und ich zum 'Goldenen Horn' (türk. Halic). Von einer Schatztruhe mit goldenen Hörnern war nix zu sehen. Tatsächlich ist das 'Goldene Horn' eine Trichtermündung eines Flusses (Ästuare) bzw. eine Wasserbucht, welche die Istanbuler City auf der europäischen Seite der Stadt in zwei Stadtteile aufteilt. Am Ufer erblickte ich zum ersten Mal die Workcamp-Führerin A., eine Marketing-Studentin aus Istanbul, die ihren spanischen Freund und einen weiteren von den Kanarischen Inseln mitgebracht hatte. In der Wasserbucht, 'Goldenes Horn', am Kai wartete ein altes Touristenboot, mit dem wir hinausfuhren in die 'Bosporus'-Schlucht (- Bosporus ist der allgemein bekannte Name einer Meerenge -) und dort zwischen den Kontinenten Europa und Asien entlang schipperten. Etliche Kellner machten sich vor allem bemerkbar, indem sie interessante T-Shirts mit der Schiffsabbildung oder leckere türkische Getränke anboten. Nachdem die Workcamp-Bande und ich die berühmten Bosporus-Brücken und die Rumelihisari-Festung am europäischen Ufer hinter uns ließen, und bevor wir das Schwarze Meer hatten richtig erblicken können, betraten wir asiatischen Boden. Dort durchliefen wir das kleine Seelendorf an der Küste und bestiegen einen Hügel. Auf dem Gipfel wartete eine schöne, verlassene Burg mit vielen Touristen. Und siehe da, das Schwarze Meer dehnte sich in der Tat beträchtlich aus bis in den fernen Horizont und bis zur Ukraine, allerdings weit und breit nix zu sehen von Donkosaken oder Schwarzmeerflotte! Der Abstieg von dem Berg mit Weitblick fiel uns recht leicht trotz schweren Herzens. Denn vor unserer Rückfahrt mit dem Boot nach Istanbul kehrten wir in der Nähe der Bootsanlegestelle in ein Uferrestaurant ein und verspeisten u.a. - nicht vegetarische - Calamaris oder Pommes vom türkischen Fritt's. Nach der Wiederkehr aus dem ländlichen Idyll in die riesige Metropole besichtigten wir die Blue Mosque (Blaue Moschee), welche mit ihren sechs Minaretten ein ziemlich dominierendes Wahrzeichen von Istanbul ist. Dort erzählte uns der Moschee-Führer einige wissenswerte Dinge aus Religion und Kultur, nachdem wir unsere Schuhe in Tüten verhüllten, damit der Innenraum schön sauber bleiben konnte, und auf Socken einmarschierten. Außerhalb des Gotteshauses konnte ich beiläufig noch einen etwa 12-jährigen Jungen beglücken, indem ich ihm ein seltsam drehendes türkisches Kegel-Jojo abkaufte. Abends gab es ein Dîner in einem türkischen Restaurant, wo sich jede/r die eigene Mahlzeit selbst bestellen durfte. Die gut geschärfte Lentil-Soup (- kaum zu glauben, daß das Linsensuppe sein soll !) und der zuckersüße Reispudding waren wahnsinnig schmackhaft. Nur weiß ich noch nicht, ob ich jenes Versprechen gegenüber dem offenbar kurdischen Kellner einhalten kann, beim nächsten Newroz-Festival wieder vorbeizuschauen.

Freitag, 1.November

Am nächsten Morgen durchstreifte ich zusammen mit dem Gros der Workcamp-Clique einen Basar am nördlichen Ufer des 'Goldenen Horns', und da ließen wir uns nach und nach bei einem Straßen-Café nieder. Zu Trinken wurde allerdings überwiegend verschiedene Teesorten bevorzugt und ansonsten der Genuß an einer Wasserpfeife. Dabei hatte ich mir einen kleinen Spaß erlaubt und fälschlicherweise hinein gepustet, wodurch das Wasser aus dem Wasserpfeifen-Behälter empor gesprudelt kam - ein wahrhaftig interessantes Experiment!

Mit dieser Erkenntnis sind wir, FreiwilligendienstlerInnen, wenig später wieder zu unserem Stützpunkt 'Cordial House' zurückgewandert. Schließlich war nicht mehr viel Zeit, um mit dem Bus zum Gençtur-Büro am Taksim-Place zu gelangen, welches sich indes wieder auf der nördlichen Seite des 'Goldenen Horns' befindet. Im Büro saß Mister Y., der Big Boss der Organisation. Jeder von uns mußte sich vorstellen, evt. einiges bezahlen (Besuch der Hagia Sophia, Bootsfahrt u.a., - sofern die jew. Leut' sich daran beteiligt hatten -, und die Busfahrt zum Workcamp-Einsatzort Söke). Dabei erzählte ich ihm, ich wäre "Je m'appelle Dosteen Schrodeeer". Schließlich präsentierte der Herr Y. seinen Verein und die Freiwilligen-Tätigkeiten anhand einer Dia-Show. Unterdessen hatte sich die Anzahl der Workcamp-TeilnehmerInnen auf sieben erhöht, da ein Girl aus dem finnischen Lappland und K., ein Teilnehmer aus dem deutsch-niedersächsischen Hannover, eintrudelten. Dagegen erhielten wir leider die Mitteilung über die Absagen von weiteren Personen aus Rußland, den USA und aus Afrika. Anschließend gelangten wir mit wenig Zeit sowie mit viel Streß & Bagage durch die halbe City zum Busbahnhof, um den Überlandbus Richtung Söke zu besteigen. Zu dieser Zeit war es Freitag, ungefähr nach 20.00 Uhr, und der Reisebus hatte nun auch Verspätung.

Busfahrt nach Söke

Bei türkisch sprachiger Trickfilme und zweifelhaftem Actionfilm, die aus zwei Bildschirmen flimmerten, irrte das Großraum-Fahrzeug quer durch Istanbul, über eine der beiden Bosporus-Brücken ostwärts bis zu einer Fähranlegestelle am Marmarameer. Bei der Ausfahrt aus Istanbul passierten wir Kontrollposten (vermutl. Mautposten), die vermuten ließen, daß wir an der Landesgrenze angelangt seien. Die Fähre hatte gerade noch Platz für unseren Traveller-Bus. Während dieser im unteren Schiffsbauch verweilen mußte, durften wir Passagiere unsere Beine auf dem Deck vertreten. Ein überwiegender Teil der Leute hatte sich in einen großen, aber prunklosen Saal begeben, indem an einem Kiosk diverse Snacks & Sweets feilgeboten wurden. Doch so manche SchwärmerInnen, die u.a. die frische Meerlandschaft genießen wollten, begaben sich an die windige Schiffsreling oder auf die kühlen Sitzbänke außerhalb der Halle. Und da saßen u.a. zwei ca. 20-jährige türkische Mädels, die etwas über Deutschland und über deutsche Jungs erfahren wollten, weshalb es zu einem interessanten Gespräch kam. Nach schätzungsweise einer Stunde Schwimmfahrt, gelangte das Fährboot bei Yalova an die Südküste des Marmarameeres. [Das in jenem Gewässer befindliche Alcatraz, genannt Imrali (Gefängnisinsel), wo der PKK-Boss Abdullah Öcalan versteckt (gewesen) ist, war nicht zu sichten.] Die Busreisenden konnten nun mit dem Reisebus aus dem Schiffsbauch an Land setzen und durch die dämmrige Nacht weiter düsen. Doch dösen wollte von der Workcamp-Truppe kaum jemand. Stattdessen wurde erst einmal richtig gesungen und gequatscht. Zufälligerweise saßen die zwei türkischen Girls nun auch in der Nähe von uns, wodurch der Austausch von E-mail-Adressen möglich war, bevor sie in die Nacht der größeren Stadt Bursa wieder verschwanden. Der Bus stoppte weitere Male in etlichen anderen Orten, wo leibhaftig Nachtleben herrschte. Mittlerweile war Schlafenszeit angesagt, und infolgedessen war vom Aufenthalt in Izmir (früher: Smyrna), - welches gemessen an der Einwohnerzahl wahrscheinlich die drittgrößte türkische Stadt ist -, leider nicht viel zu sehen.

Samstag, 2.November

Am Morgen traf die Voluntary-Bande in Söke ein und fuhr mit einem Kleinbus der Stadtgemeinde zu dem südlich der City gelegenen Areal der Agrarschule. Dort befanden sich gleichfalls unsere Unterkunftsräume, wovon eines dem Hannoveraner K. und mir zugeteilt wurde. Anschließend führten uns einige städtische Ingenieure über das Gelände und erzählten uns wissenswerte Dinge über das Agrarwesen, zudem u.a. auch die aus Deutschland importierten, hochtechnologisierten Gerätschaften zählten. Unterdessen sorgte das Jonglieren mit Orangen zu heiterer Aufmerksamkeit (- nun ja, ich konnte es gerade mal mit 2 Kugeln.) Zuweilen ertönte eine Zirkusmelodie, welche vermutlich Anfang und Ende der Schulpausen signalisierte. Nur, zu einem schwungvollen Tanz hatte sich doch niemand getraut. Nachdem ein durch halb Europa gereistes Pärchen aus Neuseeland sich zu den Workcampern dazugesellte und nach einem delikaten Frühstück mit salzigen Schwarzkirchen (tatsächlich waren's Oliven), begaben wir uns mit dem Arbeitsbus in die Söker City, um diese erleben zu können. Derweil lernten wir eine Französin aus Bordeaux kennen, eine neue Teilnehmerin des Voluntary-Camps. Während des Stadtbummels fiel bei der türkischen Sprache auf, daß etliche Wörter anscheinend aus dem Französischen stammen, wie z.B. 'Kuaför' (in Französisch gebräuchlich.: Coiffeur; neudeutsch: Friseur) oder 'Gar' (frz.: la gare; dt.: der Bahnhof) oder 'Spor' (wird im Französischen derartig ausgesprochen; dt.: Sport). Andere interessante Vokabeln waren z.B. 'Otogar' (Autoparkplatz) oder 'Otoman' (Autofahrer). Zwischenzeitlich kamen wir bei der 'Itfaye' vorbei (Feuerwehr), von wo ab und zu je ein Feuerwehrmann unseren 'Otobüsü' steuerte. In der Stadt begrüßte uns nicht nur der Muezzin mit lauten Religionsgesängen, sondern zugleich so mancher vorbeifahrende bunte Musikwagen. Im Laufe des Tages landete die gesamte Bande irgendwann auf einem Grundstück, wo häufig Ausstellungen stattfinden. Im Garten hat ein Baum gestanden, der zum Obstpflücken einlud. Auf den Ruf "erkletter' mich, erkletter' mich und hol' mir meine Früchte runter" wollte ich nicht länger warten, und so erklomm ich ernsthaft diesen verrückten Baum. In den seltsamen Früchten, die aussahen wie Apfelsinen oder Grapefruits, hatten sich außerdem leckere Johannisbeeren versteckt. Und in dem alten, knatternden Gebäude auf dem Anwesen wurden jenes Mal Photos und Luftbilder über archäologische Forschungen in der Region dargestellt. Ein einheimischer Ingenieur, der schon mal in Deutschland gelebt hatte, erklärte einige Details auf deutsch. Draußen stand eine harmlose Kanone aus dem 18. Jahrhundert, auf der so mancher Münchhausen-Baron bequem sitzen konnte (- leider fehlte die Kugel !). Daneben lagen auf der Wiese gebrannte, antike Ephesus-Steine und Platten vor einem Kamin in der Grundstücksmauer , der ebenfalls zu einer Kletterpartie einlud. Auf dem Festplatz auf der anderen Straßenseite des Expositions-Areals feierte die 'Mutterlandspartei' (AnaVatan / ANAP) ihren Wahlkampf für die Parlamentswahlen am nächsten Tag. Von jener national-konservativen Partei bin ich zwar wenig begeistert. Nichtsdestotrotz waren die offerierten trockenen Kekse genauso köstlich wie der traditionelle Tanz, der so manche ZuschauerInnen zum Mitmachen ermunterte. Danach wurde das Workcamp-Team per Kleinbus nach Kusadasi an die Agäis-Küste chauffiert und vor dem Meeres-Panorama fotografiert.

Im Anschluß an das Abendessen in der Schulkantine des Agrarhofs, spielte ich im Vorraum mit türkischen Jungs Tischtennis, was scheinbar für etwas Verwunderung oder Begeisterung sorgte. Die Freudenschreie konnten nur noch übertroffen werden durch das Fußballmatch Fenerbahçe Istanbul - Galasataray Istanbul mit dem Endstand von 6:0, welches im Nachbarzimmer übertragen wurde. Die anderen Voluntary-Gäste hatten sich schon zu dem Teehaus begeben, das - genauso wie eine kleine Moschee - auch auf dem Terrain steht. Später gesellte ich mich ebenso dazu. Im Anschluß an den 'Rommycup'- und 'Dame'-Spielen, konnte ich beiläufig gleichwohl einiges über die anstehenden Parlamentswahlen erfahren.

Sonntag, 3.November

Am sonnigen Sonntag stand eine Wanderung durch das nahe Küstengebirge auf der Tagesordnung, wozu für alle Tüten mit Proviant zusammengestellt wurden. Zunächst kutschierte der Bulli-Fahrer uns, die erlebnishungrigen Fremdlinge und den einheimischen Ingenieur, der zeitweise in Deutschland gelebt hatte, zu einem kleinen Supermarkt an einer Landstraße bei Kusadasi, damit zusätzliche - für den Abenteuertrip erforderliche - Lebensmittel erworben werden konnten. Es dauerte aber nicht lange, bis wir (die Pfadfinder) den Eingangspfad in die unbekannte Bergwelt gefunden hatten. Der Panoramablick auf die Küste bei Kusadasi mit der vorgelagerten Vogelinsel sowie der Umgebung machte sich bereits bemerkbar. Wenige Minuten später kamen wir an einem Viehhirten vorbei, dessen Donkey-Esel unter schwerem Lastgut litt. Nach dem Aufstieg durch dichtes Geäst, über Nadelholz und Fels, erreichten wir einen Rastplatz, der zum Verschnaufen und Vespern diente. Ein dicker Baum in der Mitte war attraktiv genug, um durch seinen teilweise hohlen Stamm auf seine plattformartige Baumkrone zu gelangen. Dies ermöglichte eine strahlende Fotoszene von dem Thronstar im Wipfel. Nach dem Antreffen einer erfrischenden Wasserstelle, wanderten wir weiter entlang eines steilen Abgrunds, von wo - neben einer Schafswiese und einem Wasserbecken - ebenfalls ein herrlicher Blick auf die Inlandseite mit unserer Herberge zu beobachten war. Dessenungeachtet waren wir dazu entschlossen, weiter zu marschieren mit der Intention, das Ägäische Meer von einer der höchsten Stellen des ca. 1000 Meter hohen Gebirgskammes bewundern zu können. Ein solcher himmlischer Flecken auf einem Hochplateau wurde für ein weiteres Picknick auserwählt, mußte jedoch über kniehohes Gestrüpp & Gestein sowie durch Felsbesteigung abenteuerlich erzielt werden. Der Niedersachse, - der sich zuvor während der sonntäglichen Exkursion schon als Liebhaber von giftigen und offenbar genüßlichen Pilzen geoutet und eifrig gesammelt hatte -, flitzte zwischenzeitlich zu dem wohl tatsächlich höchsten Felsmassiv der Hochebene und kraxelte diesen hinauf. Irgendwann kam ich zu dem Entschluß, das gleiche Wagnis zu tun und ihm durch nahezu undurchdringliches und pieksendes Nadeldickicht hinterherzuhasten. Obwohl der Niedersachse wieder zurückkehrte und der Auf- sowie der Abstieg jenes Bergmassivs sich als ziemlich riskant erwies, lohnte sich das Unterfangen insofern, da dort oben ein unbeschreiblich malerisches und einmaliges Panorama auf Meer und & Hinterland wartete (- schade, kein Fotoapparat dabei! Jetzt weiß ich, mit welcher Perspektive die Vögel auf die Erde starren.) Danach irrte ich wieder zurück, entlang eines steilen Küstengefälles und wurde von den anderen AbenteurerInnen, die mittlerweile zu dem langen Heimweg aufgebrochen waren, in fröhlicher Stimmung empfangen. Nach laufendem Abwärtstrend per Fuß auf schmalen Bergpfaden durch Wald und Wiese stießen wir auf eine Grasweide, wo die nächste Rastpause eingelegt wurde. An der Stelle fanden sich ein erfrischendes, hölzernes Brunnenbecken und jenes Wasserbassin vor, das schon zuvor zu erkennen war. Doch nun entpuppten sich der hölzerne Wasserbehälter zu einer Badewanne und das größere Teichbecken zu einem Swimmingpool, - spätestens als diese von mir dazu mißbraucht wurden. Obendrein stand hinter dem Badetümpel - kurz vorm Angrund - ein befremdlicher Baum, der einschlägig vom Blitz getroffen schien. Nach einer Weile setzten wir die Wanderung fort. Schließlich erreichten wir wieder die Zivilisation, die sich hauptsächlich durch gackernde Hühner und neugierige Kinder in den tristen Vorgärten bemerkbar machte. Von der naheliegenden Landstraße beförderte uns schließlich ein 'Itfaye'-Chauffeur mit dem Kleinbus zurück zu unserem Domizil.

Abends wurden dann im Fernsehen des Teehauses die Ergebnisse der Parlamentswahlen präsentiert. Während die Anderen sich mit einem französischen Kartenspiel beschäftigten, konnte ich nicht widerstehen, mich vor den Bildschirm zu setzen und das Resultat des Bevölkerungsvotums zu verfolgen. Mein schlaues Lexikon hatte ich zwar nicht dabei, aber einige Parteikürzel konnte ich schon erraten. Unter anderem war auffällig, daß die Partei DEHAP ihre meisten Stimmen in Ost-Anatolien, z.B. in der Stadt Diyarbakir (ca. 59 %), verbuchen konnte, wo überwiegend die kurdische Bevölkerung zu Hause ist. Ein hoher Stadtvertreter, - dem mein Interesse für die türkische Politik auffiel -, fragte mich, welche Partei ich denn bevorzugen würde. Nun, ich kannte die Parteien ja nicht genau. Also erkundigte ich mich, was ist DEHAP; ist es dasselbe wie HADEP, - welche mir bereits als Kurden-freundliche Partei geläufig gewesen ist -; und wie sieht's aus mit der Arbeiterpartei. Nach der Bestätigung über DEHAP und der Information über ein miserables Ergebnis der Arbeiterpartei, war ich freilich schlauer, und der Herr Gemeinderepräsentant verabschiedete sich. Im übrigen wurden die Wahlen gewonnen von der AKP (Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei), - eine neu formierte Partei, die u.a. mit fundamental islamischen Werten geworben hatte. Deren Parteichef ist der ehemalige Istanbuler Bürgermeister Recep Tayyip Erdogan und entstammt der verbotenen islamistischen Refah-Partei.

Kurz vorm Schlafengehen wurde ich zu Hilfe gerufen, da im Nachbarzimmer sich eine seltsame Riesenraupe in der Dusche versteckte. Während ich das unbekannte Vieh in die Freiheit begleitete, fragte ich es ganz höflich "What are

you for an animal?" Ungeachtet dessen machte sich das fremdartige Tier lautlos aus dem Staub.

Montag, 4.November; erster Arbeitstag

Am Montag begannen wir endlich unseren eigentlichen Freiwilligendienst auf einem Grundschulhof in Söke. Unterdessen war das Neuseeländer-Pärchen bedauerlicherweise wieder weitergereist. Auf dem Grundstück der Bildungseinrichtung wurden wir zunächst für verschiedene Arbeitsbereiche aufgeteilt und von einigen städtischen Agrarangestellten eingewiesen. Ich hatte extra sämtliche eigene Arbeitshandschuhe und -klamotten mitgebracht. Als erstes mußten wir per Spaten den Erdboden lockern bzw. die groben Steine aussortieren. Danach wurde die Feinarbeit mit einem Rechen erledigt sowie Saatgut über die Erde verstreut. Schließlich waren Löcher zu buddeln und dort die jungen Bäume einzusetzen. Zwischendurch gab es einige Trinkpausen.

Während der Ruhezeit wurde ich u.a. verwundert gefragt, weshalb ich über die teure Zugroute angereist war. Dies begründete

ich zunächst damit, daß ich "fear of flights" (Angst vorm Fliegen) hätte, wofür vielleicht auch einige gute Argumente sprechen würden. Zweifellos sind die verschiedenen Nachteile des Fliegens mit eventuellen Vorteilen abzuwägen. In der Tat ist der Flugzeug- und der individuale Straßenverkehr in den letzten Jahrzehnten - trotz mehrmaliger rhetorischer Umdenkungsversuche von etlichen PolitikerInnen - wesentlich stärker gefördert worden als die Attraktivierung und Sicherung der Eisenbahn. Dagegen bestehen insbesondere durch Zunahme von Flug- und Autofahrbetrieb erhebliche Unfallrisiken am Boden bzw. in der Luft mit anschließenden juristischen Folgen genauso wie die Beeinträchtigung von Gesundheit, Flora & Fauna sowie der Stratosphäre; ganz zu schweigen von der konflikt- und katastrophenreichen Erdölproblematik. Die entstehenden volkswirtschaftlichen Schäden dürfen indes die Versicherungsbeitrags- bzw. die SteuerzahlerInnen übernehmen, während diverse Konzerne ihre Gewinne an der Börse verbuchen. Kein Wunder, daß Autofahren oder Flugzeugfliegen billiger sind als eine Reise mit der Eisenbahn. Demzufolge erklärte ich auch, "the plane is too cheap in relation to the train". Gewiß können Flugzeuge oder Autos nicht verboten werden. Doch zumindest das Machbare wie der kontinentale Zugverkehr sollte eine gute, ökologisch- und sozialverträgliche Alternative sein (, obgleich der ICE sicherer werden muß und der Transrapid mit einer ungewissen, evt. unannehmbaren Kostenspirale verbunden ist).

In der Mittagspause begaben wir uns in einen Raum der Schule, wohin Pide, ungesüßte Joghurts (Ayran) gebracht wurden. Zu Trinken gab es türkischen Tee und bescheidenes Wasser. Im Treppenhaus war ein Gemälde mit Soldaten zu bestau-nen, die selbst bei der Faust eines Pazifisten sich nicht bewegten. Der Mustafa Kemal Atatürk war fast allgegenwärtig, z.B. auf dem Schulhof, als Skulptur anzutreffen (Ich wollt' ja schon Pogo mit Atatürk tanzen, aber ich glaube, der wäre dabei umgefallen!). Auf dem Pausengelände kamen dann am Nachmittag einige Leute vom Fernsehen vorbei (- leider war das nur der lokale TV-Sender) und interviewte uns infolge der Vorabrede von der Workcamp-Leiterin A.. Hinterher durften wir noch Unkraut und Plastikmüll aufsammeln und alles zusammen -ungetrennt- auf einen Lkw befördern. Zur Abwechslung gab es zusätzlich Volleyball- und Fußball-Versuche mit den herbeieilenden Schulkindern. Bevor es heimwärts ging, machten wir einen Abstecher beim Bürgermeister, der uns gerne mal kennenlernen wollte. Wieder wurde die Episode gefilmt (der Bürgermeistersohn hat das prima hingekriegt), wieder war's nur der Lokalsender, und der Platz direkt gegenüber des Gemeindeherren war noch leer. Als ich dann dort saß und nach der Vorstellung, mußte ich zuerst das deutsch-türkische Wörterbuch durchblättern. Die Workcamp-Führerin A. neben mir fragte schon, ob ich einige Questions hätte. Also gut, meine erste Frage an den Politiker lautete: "What do you say about GAP?". Das ist die Abkürzung für "Güneydogu Anadolu Projesi" ("Südost-Anatolisches Projekt"), welches den Bau von etlichen Staudämmen in der Südosttürkei beinhaltet und bereits Anfang der neunziger Jahre begonnen worden ist. Der Gemeindeboß dachte bei GAP zunächst an eine Partei, - ein Mißverständnis, das mittels der Dolmetscherin A. ausgeräumt werden konnte. Hernach begründete der Stadtchef das prestigeträchtige Staudammprojekt mit Chancen für Tourismus und für die Energieversorgung. Dagegen zählte ich - total nervös - die wahrscheinlich negativen Folgen auf: "There is a big problem with the ecology. There is probably a problem with the climate. There's a problem with cultural and historical goods. There's a problem for the inhabitants of this region. And these inhabitants are often Kurdish people. Finally there is a water problem with other countries, for example with Iraq and Syria." [siehe dazu auch: "Prestigeprojekte in China", "Geographische Veränderungen in Asien -Prestigeprojekte."] Anschließend wollte der Lokal-Mayor von mir wissen, wie ich das Wahlergebnis des Vortages empfinde. Darauf antwortete ich schließlich: "Oh, it's a difficult question". Eine andere Erkundung von mir beschäftigte sich mit dem Verbot beispielsweise des Kopftuchtragens von Frauen in Universitäten oder Behörden. Das ist eine Regelung, die in der Türkei deswegen gilt, da die türkischen Regierungen (genauso wie das Militär) sich dazu verpflichtet sehen, den - seit Kemals Republikgründung von 1923 bestehenden - Laizismus (Trennung zwischen Staat und Religion, was ja eigentlich eine gute Idee ist) aufrechtzuerhalten. Doch mit der verordneten Zutrittsverweigerung bei Behörden oder Universitäten sind entsprechende Frauen einer traditionell patriarchalisch dominierten Gesellschaft zugleich von (- säkularen -) Studium, Weiterbildung oder Selbstbestimmung ausgeschlossen. Auf diese Weise ist die nötige säkulare Aufklärung für einen kritischen Umgang mit der Religion nicht möglich. Dieser Zusammenhang war allerdings schon wesentlich schwieriger in englischer Sprache zu erläutern.

Montag, 4. November, abends

Nachdem Abendessen und während der gespannten Ansicht über die Berichterstattung im Lokalfernsehen ( mit belanglosen Szenen von mir) kam eine Diskussion über die türkische Politik zustande. Dabei wurde erklärt, daß ein Großteil der türkischen Bevölkerung diesbezüglich frustriert sei angesichts der Korruptionsskandale der bisherigen Regierungsparteien (z.B. "Sozialdemokraten" oder diverse national-konservative Parteien). (Klaro, die dramatischen Auswirkungen bei dem Erdbeben von 1999 zwischen Izmit und Yalova am Marmarameer waren ja auch Folgen der Korruption.) Ein weiteres Motiv für den erdrutschartigen politischen Wandel zugunsten der neu gegründeten AKP sei der befürchtete Krieg gegen den Irak. Solche Argumente sind durchaus plausibel (, obzwar die AKP bereits wenige Monate nach jener Wahl ihr wahres Gesicht offenbart). Zudem wurde erwähnt, daß der bekannteste AKP-Vertreter Erdogan als einstiger Istanbuler Regierungschef einen säkularen, moderaten Führungsstil bewiesen habe, - wenngleich er der verbotenen islamistischen Refahpartei entstammt. Darüber hinaus hat es eine gewisse Skepsis gegenüber einen EU-Beitritt der Türkei gegeben, auch wenn es Vorteile (z.B. Visum-freies Reisen zwischen EU + Türkei) vorlägen. Mittlerweile befürwortet indessen die AKP mit Erdogan als neuen Regierungschef selbst die Eingliederung Anatoliens in jenes Staatenbündnis (ehem. EWG), welches anfangs vorrangig zu wirtschaftlichen Zwecken und infolge des Zweiten Weltkrieges entstand. EU-Mitgliedschaft der Türkei - ja oder nein, - gewiß ist es ein ziemlich kompliziertes Thema (ähnlich wie bei anderen EU-Kandidaten), da nicht nur aus der - evt. fragwürdigen - christlich-konservativen Sicht, sondern auch aus anti-kapitalistischer / anti-imperialer, evt. friedenspolitischer Perspektive Contra-Argumente ersichtlich sind. Gleichermaßen gibt es denkbare Pro-Argumente wie Entbürokratisierung, Erleichterung der Reisefreiheit oder faire Gleichbehandlung von unterschiedlichen 'EuropäerInnen' oder generell aller Menschen (konsequenterweise müßte es dann aber irgendwann einen 'Eine-Welt-Staat' ›UNO‹ geben, in der alle BewohnerInnen gleiche Rechte + Pflichten haben, weil ansonsten Benachteiligungen von bestimmten Personen- bzw. Ländergruppen stets bestehen bleiben), evt. Friedenspolitik, evt. verbesserte Umweltschutzbestimmungen, Wohlstand, Wirtschaftswachstum. Welche der beiden Entscheidungen jedoch hinsichtlich der Arbeitsmarktsituation, persönlicher Lebensumstände oder verbesserter Menschenrechtsbedingungen u.a. in der Ost-Türkei am sinnvollsten wäre, ist allerdings nicht leicht zu beurteilen. Ein weiteres Thema bei dem Diskurs war die seit ca. drei Jahren bestehende Wirtschaftskrise in der Türkei (derzeitiges BSP: 2900 US-$ pro Kopf + Jahr; Inflationsrate: 54,9%). In diesem Zusammenhang kam der IWF (Internationaler Währungsfond) zu Sprache, der bei Bedarf sowie bei realisierten, - aber fraglichen - Bedingungen (z.B. Privatisierung von Staatsbetrieben) Kredite an bestimmte Länder vergibt. Doch müssen die Kredite wieder zurückbezahlt werden. Demgegenüber wachsen die Schulden der Kreditempfänger weiter an, während das Geld in zweifelhafte Prestigeprojekte oder in das Militärwesen fließt (Innerhalb der NATO ist beim NATO-Mitglied Türkei der Anteil der Militärausgaben am eigenen Bruttosozialprodukt am höchsten!)

Derweil kamen die WorkcamperInnen am Montag Abend zu dem Entschluß, ein traditionelles Restaurant aufzusuchen. Draußen am Anfang des schön angelegten Vorgartens stand ein hölzernes Tor, wo uns zwei falsche Papageien begrüßten. Drinnen wurde gerade eine Hochzeitsfeier zelebriert. Lediglich der Tisch längs der Essenstheke stand noch für uns frei. (Oh, der Lokalsender folgt uns ja auf Schritt und Tritt, ist aber wohl nur an der Hochzeitsveranstaltung interessiert) Vor der Getränkeausgabe und dem Klavierspieler auf der anderen Seite des mit Holz bekleideten Raumes war eine Tanzfläche, zu der wir uns zuweilen hin bewegten. Die Tanzszenen mit traditioneller oder moderner Musik waren sehr vielfältig, u.a. irgendwann im Kreis bzw. im Indianerreigen, mit aktuellen indisch-arabischen Popsongs sowie ab und zu mit unterschiedlicher Akrobatik, Gecks und viel Phantasie. Nach einer Verschnaufpause mit intensivem Studium der türkischen Menükarte, durfte ich neben einer Teilnehmerin aus Grenoble auf der freien Bühnenfläche meinen unelastischen Körper in Schwingungen versetzen, bevor Shakira und Hip-Hop-Klänge die restlichen Voluntary-Mädels zum Tanzen motivierten. Nachher, vorm Schlafengehen verspürte ich - wahrscheinlich aufgrund des anstrengenden Tages - einen reizenden Schmerz an meinem großen Zeh.

Dienstag, 5. November

Am nächsten Tag fuhren wir wegen meiner Fußschmerzen zu einem Klinikarzt, der deutsch sprach und behauptete, der Nagel meines Fußes sei unter die Haut geraten (richtig unheimlich!), weshalb ich (Anastasia äh) Anästhesie und eine kleine Operation bräuchte. In der gleichen Zeit als auf dem Nebenbett ein schreiendes Säugling zu versorgen war, mußte der Chirurg meinen Zeh betäuben und einen Teil des Zehnagels abknipsen. Zum Schluß wickelte der Mediziner noch einen Verband um die Wunde herum. Immerhin wurde dieses Unterfangen von Gençtur bezahlt.

Daraufhin erreichten wir, "Free-Willy"-Worker, eine Wohnstraße, wo in der Mitte die Baumvegetation zu gestalten

war. Nur, wegen meiner Fußschmerzen und der zu dicken Arbeitsschuhe (, weil solche meinen Zeh nicht schonen würden), mußte ich wieder nach Hause und auf die anderen warten. Die kamen diesmal zum Mittagessen, und anschließend ging es nochmals zu jenem Arbeitsplatz, wo meine Aufgabe nun größtenteils aus Unkrautrupfen bestand, - da ich mit Sommerschuhen erschien. Dabei konnte ich die Leiterin A. ausfragen über Bayram (bedeutet "Feier", ist das bedeutendste türkische / islamische Fest und wird am Ende des Ramadan gefeiert) sowie über das Newroz-Festival (,das kurdische Neujahrs-/ Frühjahrsfest). Zur Abwechslung war es indessen noch möglich, sich mit den uniformierten, etwa 12-jährigen Schulkindern zu unterhalten und nebenbei den Sprachenaustausch zu fördern (z.B.: Nasil senin adm / idim? = Wie dein Name?; - Benim adm Mehmet. = Mein Name Mehmet.; Nasil sen duymak ? = Wie du fühlen?; - âlâ. = gut.) Zusätzlich trug das Kegel-Jojo zu einer vergnügsamen Ablenkung bei. Zwischendurch gab es Tee zur Aufheiterung. Im Anschluß an die Baumpflanzung mußten die Pflanzenreste auf einen Wagen befördert werden,. obwohl so manche Palmenstauden als Karnevalsschmuck hätten gut dienen können. Schließlich verabschiedete ich mich von den Schulkindern mit den Worten: "Bayan, Bayan; Bay, Bay; bye, bye". Dieses türkisch-englische Kauderwelsch bedeutet so viel wie "Mädchen, Mädchen; Junge, Junge; tschüs, tschüs".

Abends spielten wir nach dem Essen in dem Kantinengebäude, - wo ebenso die Schlafräume der Agrarlehrlinge untergebracht waren -, in der Vorhalle Tischtennis. Unterdessen stellte sich wohl heraus, daß ich anscheinend doch nicht so prima beim Pingpong-Spiel bin, vor allem wenn Rundlauf angesagt war. Auf der Terrasse vom Teehaus sahen wir wieder Reportagen über die aktiven Worker des Tages (ausgenommen eines Fußkranken) sowie über das Hochzeitsfest des vorigen Abends. Der Herr aus der Teeküche tat mir schon richtig leid, da er für jeden Gast Tee oder Nescafé zubereitete und servierte und dennoch für derartige Leistungen offensichtlich keine Bezahlung erhielt.

Mittwoch, 6. November

Wegen des Regens mußten am Mittwoch erst einmal Gummistiefel bei einem Sportladen besorgt und dort eine Teepause eingelegt werden. Danach ging es zu einem Wiesengrund am oberen Stadtrand, wo der Dorfbach sich in einem tiefen Graben entlang schlängelte, der allerdings hauptsächlich mit Müll anstatt mit Wasser gefüllt war. Auf der Rasenfläche hatten wir - aufgeteilt in kleinere Gruppen zu etwa 2-3 Personen - unzählig viele Löcher für die Bäume zu buddeln, wobei ein Bagger zusätzlich zu Hilfe kam. Beim Einsetzen der Pflanzen war folgendes zu beachten: Die Wurzelerde mußte zusammengehalten, der Wurzelzopf abgeschnitten und der junge Baumstamm mit einem Strick an einen Holzbalken gebunden werden. Die Zeit während der Mittagspause vertrieben wir im Sportzentrum. Anstatt einem Döner bevorzugte ich dann doch eher eine Partie Tischtennis. Daneben stand ein merkwürdiger Billardpool herum, wo indes kein richtiges Billard-Spiel möglich war, aufgrund fehlender Löcher und wegen Mangel an ausreichend Kugeln. Nachmittags war die Begrünung auf der anderen (linken) Straßenseite des bereits bearbeiteten Grasgrundstücks fortzuführen. Vor Arbeitsschluß mußten die restlichen Bäume entlang einer abzweigenden Wohngebietsstraße eingepflanzt werden. Zwischendurch schaute der Lokalsender erneut vorbei, um unsere Kommentare über den Türkei-Aufenthalt zu erhaschen. Als ich an der Reihe war, erzählte ich - ganz aufgeregt - "I like to be here in Turkey. The Turkish people are very nice. I had a good doctor for my foot. And I like to celebrate Bayram and Newroz-Festival". Anschließend wurde ich gefragt, was ich über die Parlamentswahlen zu sagen hätte, worauf ich antwortete: "it's a difficult question". Auch wenn es vielleicht manchmal unverständlich erscheint, sich adäquaten fremden, Festen und Kulturen "anzubiedern", obwohl diese einem vielleicht total unbekannt sind, denke ich, daß die Ansprache solcher Happenings, beispielsweise das kurdische Newroz-Fest, in Interviews sinnvoll sind und dadurch zumindest indirekt eventuell eine entsprechend positive Botschaftsübermittlung möglich ist. Das Risiko eines Affront gegenüber der türkischen Bevölkerung oder Regierung ist dennoch weniger gegeben, da mit großer Wahrscheinlichkeit das Liebäugeln mit der Newroz-Feier weniger heikel ist als desgleichen mit Parteien wie z.B. HADEP, zumal mir deren Dasein tatsächlich noch relativ unbekannt ist.

Abends hatten wir von unserer Fernsehpräsenz nichts gesehen, da wir ein Freizeitzentrum in der Nähe von Kusadasi besuchten. Nach dem Bowling-Spiel, - das erstauntermaßen gut anrollte und umwerfend war -, boten sich zum einem Internet und zum anderem Billard oder diverse Automatenspiele an. Während die zeitraubende Internet-Nutzung weniger Glück bescherte, war hingegen beim Billard-Match etwas mehr Erfolg zu verzeichnen.

Donnerstag, 7. November

Am diesmaligen Donnerstag sollte mein Zeh nochmalig untersucht werden, wozu sich nunmehr eine Ärztin berufen

fühlte. Zugleich mußte eine Teilnehmerin aus Paris wegen einer Verletzung am Zeigefinger infolge des Bowling-Abends im Krankenhaus behandelt werden.

Danach erreichten wir mit dem Arbeitsbus abermals den schon bearbeiteten Wiesengrund am oberen Stadtrand bzw. am Dorfbach, wo noch einige Kleinigkeiten zu erledigen waren. Bald wechselten wir auf die rechte Seite des tiefen Wassergrabens. Auf dem rechten sowie wie auf dem linken Grünstreifen des dortigen Weges galt es, die Landschaftsgestaltung mit Bäumen fortzusetzen. Wieder teilten wir uns in 2- bis 3er-Gruppen auf. Derweil arbeitete ich vorwiegend mit der Pariserin. Da wir gehandikapt waren, hatten wir uns nebenbei um leichtere Aufgaben gekümmert, u.a. die Befreiung der Arbeitsstellen von Unrat. Schließlich waren die Bäume ja auch in Folien verpackt gewesen, und wir wollten statt dessen einen guten Eindruck hinterlassen. Die Säuberungsaktion empfand ich nunmal im Rahmen des Freiwilligendienstes genauso bedeutsam wie die Aufforstungen. Gewiß birgt das Abtransportieren des Mülls mit schlichten Karren (wie in den Istanbuler Straßen gesehen) ja auch eine bescheidene Geldquelle für sämtliche Bedürftige. Dennoch scheinen Städte & Landschaften wie z.B. in der Türkei - zumindest bei subjektiver Betrachtung- von Plastikverpackungen und Müllproblematik weitaus geprägter zu sein als in der BRD; - höchstwahrscheinlich ein Attraktivitätsverlust für den Tourismus. Dagegen glaube ich, daß eine angemessene Umweltpolitik eine allgemein verbesserte Lebensqualität erzeugen kann. Hierzu zählt nach Möglichkeit die Vermeidung der Herstellung von biologisch nicht abbaubaren Stoffen, Produkten. Ansonsten ist sicherlich eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft angebracht, wozu das Recycling von bestimmten Ressourcen & Materialien und das Flaschenpfand gehören; - ein System, das - zumindest teilweise in der BRD/EU- eine Verringerung der Abfallberge offenbar bewirkt hat (abgesehen von zweifelhaften Unternehmen wie 'Grüner Punkt' und DSD, Müllverbrennungsanlagen oder Mülltourismus). Nichtdestoweniger ist zu bedenken, daß das Anwachsen des Konsumschrotts in Regionen wie der Türkei oder anderswo zuvörderst mittels der Industrialisierung bzw. mit dem Vormarsch der 'westlichen' Kultur möglich gewesen ist.

Infolge dieser Erkenntnis durften nun in den Pausen zwischen der Aufforstungsaktion als Alternative zu den Getränken in den Plastik-Behältnissen mein Rucksack mit meinen Pfand- bzw. Glasflaschen sowie viel Knabberzeug nicht fehlen, was anscheinend irgendwann als Markenzeichen Beachtung fand. Derweil der Arbeit wurde über unterschiedliche Kulturen und Sprachen der 'Volunteers' gesprochen. Einige von uns stimmten u.a. die Nationalhymnen an, zusätzlich wurden die deutschen Hymnenklänge von Kristian ins Englische übersetzt. Hernach gab es ein wenig Informationen über das aus historischen Gründen bestehende Verbot der beiden ersten Strophen des Deutschlandliedes.

Am späten Nachmittag fand auf dem Sportfeld der Agrarschule hinter unserer Herberge ein Volleyball-Match statt, mußte jedoch anläßlich einer aufkommenden Mückenplage und der Dämmerung in die nahe Turnhalle disponiert werden. Indessen hatte ich mich keineswegs mit Ruhm bekleckert, weshalb ich kurz darauf oberhalb der Turnhallen-Tribüne an einer der beiden Tischtennis-Platten eine Pingpong-Schlacht favorisierte. Im Anschluß an das Volleyball-Turnier gesellten sich die anderen Voluntary-WorkerInnen gleichfalls dazu. Später wurden Brett- und Kartenspiele auf dem vor dem Teehaus gelegenen Rasenfeld verlagert, wo daneben ein Teich mit Holzbrücke einen prächtigen Anblick bot. Das Kartenspiel war insbesondere deswegen gewinnbringend, weil mir mit französischem Akzent gezeigt wurde, wie es funktioniert. Wegen herannahender Regentropfen wurden 'Dame'-, Backgammon- oder Kartenspiele in der Teestube fortgeführt und nun auch Kakao-Tee in den berüchtigten Teegläsern genossen (Milch gab es leider nicht, nur Wasser) bis schließlich die Nacht hereingebrochen kam.

Freitag, 8. November

Am Freitag war Frei-Tag, bzw. Feiertag, wahrscheinlich wegen dem Ramadan (Ramazan), der muslimische Fastenmonat, der einmal pro Jahr stattfindet und sich an dem Vollmond orientiert. (Sicherlich wäre es schön, wenn Religion und Kultur sich mit der persönlichen, freien Entfaltung / Selbstbestimmung vereinbaren ließe.)

In Anbetracht des Ruhetages bummelten wir, die Arbeitsreisenden, durch die City von Söke und stöberten in den Katakomben einige Postkarten auf. Auf dem Innenhof bei einem türkischen Lokal war das verschiedenartige Mittagslunch zu schlemmen. Anschließend konnten Postgeschäfte in der Nähe erledigt werden. Nach der beiläufigen Unterhaltung mit deutsch sprechenden Soldaten schlenderten wir zu einer nahegelegenen Teestube zum Teetrinken und zum Inhalieren der unterschiedlichen Wasserpfeifen-Geschmäcker. (Ich hatten mich schon mit wenigen Atemzügen begnügt). Bisweilen waren einige von uns wenige Straßen weiter auch mal im Internet drin. Auf der Heimfahrt hielt unser Kleinbus an einem Supermarkt, damit wir uns mit Lebensmitteln eindecken konnten.

Abends waren wir bereits im Teehaus in der Nachbarschaft unserer Herberge in wichtige Spiele verwickelt und an Getränken schlurfend, als die kollektive Ansteuerung des Busbahnhofs unumgänglich erschien. Denn wir wollten dort gemeinsam die Französin aus Bordeaux verabschieden, die leider jetzt schon zurück in ihre Heimat mußte, und zusätzlich ein Abschiedsgeschenk der Gemeinde Söke erhielt.

Wieder zurück, ließen wir uns in der oberen Etage des Foyers unseres Schlafhauses nieder. Aufgrund fehlender Sitzgelegenheiten, besorgte ich mir einen Bierkasten aus dem Teehaus. An Unterhaltungsstoff mangelte es gewiß nicht. Mitunter informierte die Koreanerin auf Anfrage darüber ob die Zeichen in der koreanischen Schrift bestimmte symbolische Bedeutungen hätten. Kurz danach trat die Frage auf, ob die PKK eine Partei sei. Im Verlauf des Diskurses erhielt ich die Chance zu einer Stellungnahme, die selbst mich nach und nach zum Frösteln brachte. Demgemäß bekundete ich, die PKK (Partiya Karkeren Kurdistan) sei eine kurdische Partei, freilich nicht die einzige. Sie definiere sich zudem selbst als marxistisch-leninistische Arbeiterpartei. Zugegebenermaßen verhält sich jene kurdische Organisation in der Praxis nicht unbedingt demokratisch oder sozialistisch und ist gewiß für einige unangenehme, grobe, unentschuldbare Vorfälle verantwortlich. Neben dem Verweis auf die Unterdrückung des kurdischen Volkes infolge des Staudammprojektes (GAP), dürfen andererseits weitere repressive Maßnahmen des türkischen Staates nicht unterschätzt werden. Für KurdInnen ist es untersagt, die eigene Sprache (indogermanischen / persischen Ursprungs) und Kultur (z.B. das Newroz-Fest) auszuüben. Strafandrohungen sind insbesondere gegeben bei entsprechender Mißachtung in der Schule und in öffentlichen Einrichtungen. Zusätzlich sind kurdische Parteien nicht zugelassen; kurdisch-demokratische Bestrebungen werden mit langjährigen Gefängnisstrafen (Begründung: Separatismus) geahndet. (Okay, in den letzten Jahren sind derartige Restriktionen möglicherweise etwas gelockert worden.) Überdies riskieren türkische und kurdische Personen, u.a. AnwältInnen, MedizinerInnen, JournalistInnen, PolitikerInnen, welche die türkischen RegentInnen tadeln, Verhaftungen. Obendrein sind (- friedliche oder gewaltbereite -) RegierungskritikerInnen gefährdet, gefoltert, unauffindbar oder eliminiert zu werden, obwohl die Todesstrafe offiziell seit 1984 nicht mehr angewendet worden ist. Die Diskriminierung der kurdischen Bevölkerung wird außerdem insofern begünstigt, da die -775000 km² große und ca. 70 Mio. Menschen zählende - Türkei ein Zentralstaat ist mit der zentralen Hauptstadt Ankara (im Gegensatz zur förderalen BRD). Bei gleichbleibender Situation würden kurdische Interessen oder Kurden-freundliche Parteien bei Parlamentswahlen stets chancenlos bleiben. Aus diesem Grunde sind die Autonomiebestrebungen im kurdischen Gebiet plausibel. Vielleicht sind dann verbesserte demokratische Strukturen in Kurdistan und bei der PKK denkbar. Zweifellos leben auf dem türkischen Territorium weitere bedeutende Minderheiten, die berechtigterweise demgemäß womöglich ähnliche Ansprüche gelten machen können, wie z.B. die ethnisch-(religiöse) armenische Volksgruppe oder die christlich-religiösen Assyrer /Aramäer. Anschließend erzählte ich die Geschichte einer traumatisierten, - ursprünglich unpolitischen - kurdischen Familie, die in meiner Heimatstadt Wiesbaden Asyl suchte, - ein Fall von vielen Beispielen. Dem Vater wurde vom türkischen Militär / Polizei befohlen, als 'Dorfvorsteher' gegen das eigene kurdische Volk zu agieren, lehnte dies ab und war somit der Folter ausgesetzt. Die Mutter und Sohn wurden vergewaltigt, die Mutter mußte sogar bei der Tötung des Bruders zusehen. Aus diesen Gründen flüchteten sie nach Deutschland und baten um Asyl. Mittlerweile war der Vater wieder in die Türkei abgeschoben, da es ja (v.a. in der westlichen ) Türkei kein Krieg gebe, weswegen ebenfalls kein Asylgrund vorliege. Infolgedessen war der Vater dazu gezwungen, stets vor Repressalien der türkischen Obrigkeit zu fliehen. Als nächstes sprach ich die Gefängnisrevolten in Istanbul der vergangenen Jahre an. Die Inhaftierten protestierten auf - teilweise gewaltsame - Weise oder traten in den Hungerstreik. Mit den Protestaktionen wollten sie aufmerksam machen auf ihre miserablen Haftbedingungen. Zu beklagen sind u.a. überfüllte Knäste, aber auch die Isolationshaft, welche Folterungen von Insassen begünstigt. Daneben wurden Schlagzeilen-bekannte Personen erwähnt wie der Islamist Metin Kaplan, der in Köln lebt und dem wegen gewisser Delikte die Abschiebung in die Türkei droht, oder hinsichtlich des Münchners 'Mehmet', dem wegen Jugendstraftaten ein Schicksal desgleichen bereits ereilt hatte. Keineswegs möchte ich den einen noch den anderen als friedlichen Engel darstellen; gewiß hatten sie großen Mist gebaut. Insbesondere der Islamismus darf nicht verherrlicht werden. Dennoch sollte bedacht werden, daß adäquate Deportationen in die Türkei oder in andere Gegenden hauptsächlich wegen Populismus und Opportunismus in Wahlkampfzeiten oder infolge von tatsächlichen bzw. vermeintlichen Anschlägen praktikabel sind, indessen gleichwohl von wirklichen Präventivmaßnahmen ablenken. Gerade bei einem - möglichst erholsamen – Urlaubsaufenthalt in der Türkei sollte klar sein, daß Abschiebungen lediglich puren Aktionismus, jedoch keine fundierte Lösungen darstellen. Nichtsdestotrotz stellte ich mich hin und wieder vor als "Mehmet from Munich".

Samstag, 9. November

Wegen dem freien Freitag mußte nun am Samstag geschuftet werden. Der Busfahrer chauffierte uns, die reisenden ArbeiterInnen, zu dem städtischen Bauhof. Nach der Ablage unserer Rucksäcke in einem kleinen Häuschen auf dem Areal, liefen wir entlang eines Teiches zu den Orangenbäumen. Ein Gemeindearbeiter fuhr einen Kleinlastwagen unter einige Baumäste. Daraufhin kletterten wir auf die Lkw-Ladefläche oder auf das Fahrerhäuschen, um die Apfelsinen zu pflücken, welche anschließend in Holzkörbe landeten. Bisweilen war es obendrein möglich, auf den Baum selbst hinaufzusteigen, von wo die Früchte ab und zu mit oder ohne Hilfe der Schere herunterpurzelten. Diese Aktion wurde im gesamten Orangen- und Mandarinenbaum-Wald auf dem Bauhof-Grundstück durchgeführt. Zwischendrin gab es eine Rastpause auf einem Spielplatz auf dem Gelände, ehedem der Aufenthalt in der Bauhof-Hütte bei wärmenden Holzkohleofen und Aufbau eines Kartenhäuschens doch bequemer war angesichts eines aufkommenden Gewitters. Nachfolgend mußten wir die schweren Holzkisten hereinholen, die Früchte in Plastikbeutel umfüllen und in dem kleinen Büro lagern. Einzelne Orangen sahen besonders 'genmanipuliert' aus; und ich stellte fest, daß ich nicht allein war, der auf solcherlei gerne verzichtet. Die Obsttüten bildeten im übrigen einen anschaulichen, plastischen Fotohintergrund. Vereinzelt gab es sogar Wettkampfszenen mit der Disziplin 'Armdrücken' zu beobachten, wogegen mein Arm nicht immer, aber manchmal besonders gern umwerfend war.

Zu Beginn des Feierabends hielten wir erneut eine Visite bei dem Expositions-Areal ab, wo diesmal eine ziemlich feine Fete stattfand. Selbstverständlich hatten wir noch unsere Arbeitsklamotten an. Da war ich mit meiner Latzhose und dem stählernen Schuhwerk wahrscheinlich erst recht originell (- tja, so sieht eben ein richtiger Proletarier aus!). Während draußen sich die Menschen bei Sonnenblumenkernen, Keksen und Getränken in Plastikbechern amüsierten, wurden in dem alten, knatternden Gebäude Gemälden eines österreichischen Künstlers ausgestellt, dessen Gattin und Tochter gleichermaßen präsent waren. Zunächst dachten wir, die kämen aus Australia und nicht Austria. Da hatten sich zwei Jungs wohl gedacht, sie könnten ungehört auf deutsch über die Maler-Tochter necken, nun gut 'why not', ist doch cool die edle Bourgeoisie zu ärgern. Ungeachtet dessen und obwohl einer von beiden kaum dem Englischen mächtig ist, kam dieser obendrein auf die Idee, sich in dem Gästebuch des Kunstschaffenden mit einem Spruch zu verewigen, und dieser lautete: "Your pictures are nice, but your daughter is nicer." Derweil waren die meisten Gäste des Establishments wieder fort, und die anderen "FreiwilligendienstlerInnen" warteten draußen auf den antiken "Ephesus"-Steinen. Ein konkavmäßig ausgehöhlter Stein, - den ich mir zum Sitzen auserwählt hatte -, war besonders einladend, denn da war noch moosgrüne Brühe drin!

Im Teehaus spielte ich mit einer Französin aus Bordeaux eine Runde Backgammon, wobei ich feststellte, daß dieses Brettspiel wirklich wesentlich leichter ist als das 'Dame'-Spiel.

Sonntag, 10. November

An dem Sonntag holten wir als erstes den deutsch sprechenden Einheimischen ab, dessen Informationen über die Region im Laufe des Tages ziemlich nützlich gewesen waren. Auf den bedeutendsten Stadtplätzen erinnerten uns diverse bunte Schilder und Fahnen an den momentanen Nationalfeiertag, der wahrscheinlich im Zusammenhang steht mit dem Republikgründer Atatürk. Dann ging's mit dem 'Otobüsü' entlang der Küste bei Kusadasi in Richtung Izmir. Derweil der Tour zeigte die Workcamp-Leiterin komfortable Adressen mit Meeresblick, welche für adäquate BewohnerInnen, - dessen Grundstücke durch Stauseen untergegangen sind bzw. untergehen sollen -, vorgesehen seien. Andererseits ist zu bedenken, daß betreffende Menschen vielleicht weniger erfreut sind, wenn sie zur Assimilation (Anpassung) in einer fremden Gegend genötigt werden, obgleich die Lebensbedingungen an dem neuen Zuhause wesentlich attraktiver zu sein scheinen. Schließlich erreichten wir ein Ausstellungsgrundstück, das in ländlicher Ödnis sein Dasein fristete. Am Eingang begrüßten uns aus Holz und Stroh ausgestopfte Bauern mit ihren traditionellen Werkzeugen und Tieren. Auf der Veranda an der Rückseite einer Kneipe spielte ein künstlich erzeugter Herr ein Musikinstrument. Hinter einem Teich vor der Pforte einer Ausstellungshalle begegneten uns gleichfalls derlei unbewegliche Greise, die in ihren Stühlen oder im Stehen offenbar keine Langeweile verspürten. Daneben konnten bemerkenswerte Andenken und Postkarten ergattert werden. Innerhalb des großen Raumes wurde die kulturelle, traditionelle, zeitgeschichtliche Entwicklung von Kleinasien mit kleinen holzgeschnitzten Figuren, Werkzeugen und Backgammon-Spiel auf grünem Filzunterbau sowie mit gebirgigem Hintergrund dargestellt.

Um die Mittagszeit herum eskortierte uns der 'Itfaye'-Fahrer über enge Serpentinen durch ein idyllisches Tal hinauf zu dem Gebirgsdorf Sirkeçi. Dort flanierten wir als erstes durch Souvenirläden, die ihre reichlichen, kulturellen Angebote präsentierten, welche hingegen unerschwinglich für meine bescheidene Geldbörse waren. Alsbald marschierten wir zu Fuß den Berg durch steile Gassen weiter hinauf zu einem wirklich konventionellen, hölzernen Gartenrestaurant mit Ausblick auf das weite Tal. Der traditionelle Charakter der Gaststätte zeigte sich im Wesentlichen dadurch, da zwei Frauen auf dem Hofgelände die türkischen Crêpes auf Steinplatten zubereiteten und über einer offenen Ofenstelle backten. Die Fladenbrote wurden je nach Belieben mit unterschiedlichen Zutaten angerichtet, z.B. ein Mahl mit Käse und Spinat oder ein Mahl mit Käse und Kartoffeln.

Nach dem Lunch besuchten wir die wenige Kilometer entfernte antike Ruinenstadt Ephesus. Der Eintrittspreis am oberen Hintereingang war nicht gerade billig, und ich hatte für eine mögliche Ermäßigung noch nicht einmal einen Schüler- oder Studentenausweis dabei, sondern lediglich einen unnützen Personalausweis. Nach forscher Begehung über und innerhalb des Ruinenlabyrinths sowie über den Hängen seitlich des regulären Weges, verspürte ich selbst im eigenen Munde etwas Instabilität. Denn wenige Minuten hintereinander fielen zwei, drei Zahnbrocken von meinem Oberkiefer. In der Zahnmauer war eine tiefe Lücke bis ans Zahnfleisch fühlbar! Kurz darauf konnten wir pausieren mit Blick auf eine kleine Teichanlage, umgeben von Bretterstegen, während unsere Beine in Sitzlöchern steckten. Die wohl bekannteste und zweistöckige Ruinenfassade mit den überragenden Säulen war schon längst sichtbar. An den Innenmauern der einstigen Bibliothek belehrten uns Schriften über Ephesus und die Antike. Indessen waren die Botschaften allein in türkischer und deutscher Sprache lesbar, obwohl der Nachrichteninhalte u.a. aus römischer und griechischer Zeit stammen und Englisch sowie Französisch als Weltsprachen gelten, welche somit in gleicher Weise angebracht sein müßten. Entlang mehrerer freistehender Säulen und lockerer Platten gerieten wir allmählich zu der riesigen Arena. Während der Ruhepause auf den oberen Rängen, verschwanden die Finnin, der Franzose aus Lyon und die Französin aus Grenoble zwischenzeitlich zu einer Gesangs- und Tanzdarbietung auf die tiefer gelegene Bühnenfläche, weshalb Applaus sogar von den wenigen zusätzlichen BesucherInnen erschallte. Wenig später waren wir nach weiteren Schritten an dem unteren Vorderausgang angelangt, wo die HändlerInnen der Basarstände uns mit ihren Offerten willkommen hießen. Diesbezüglich lautete meine Antwort hin und wieder: "Merhaba, mer habbe, mer habbe!". Das ist ein türkisch-hessisches Kauderwelsch und bedeutet: "Guten Tag, wir haben, wir haben!" Sodann traten wir mit etwas Verzögerung die langwierige Heimfahrt an.

Bei der Herberge stand ein zusätzliches Abenteuer bevor, da ich nicht ohne weiteres in mein Zimmer kam. Denn mein niedersächsischer Zimmergenosse, der bei unserem Ausflug nicht anwesend gewesen war, hatte sich in die Söker Innenstadt begeben und den Türschlüssel dabei. Demzufolge mußte ich mir einen Stuhl aus der Cafeteria der Sporthalle borgen und hinter der Hecke an mein Zimmerfenster plazieren. Mit etwas Wagemut kletterte ich hinauf und purzelte in den Raum hinein. Allerdings war ich nun eingesperrt! Als der Landsmann endlich eintraf, erreichte das Verhältnis zu ihm einen Tiefpunkt. Anscheinend kam ihm der gesamte Freiwilligendienst gar nicht gelegen, welches offenbar eine Aufbesserung seines Englischs hätte bewirken sollen. Gelegentlich erinnerte er mich an E.T., der des öfteren wiederholte, er wolle nach Hause und stets ausrechnete, wie viele Tage es denn noch bis dahin sein würden. Und nun verspürte er - vermutlich wegen Langeweile - einen solchen Tatendrang, daß er mich endlich aus dem gemeinsamen Kabuff vertrieben hatte. Zusammen mit meinen Siebensachen durfte ich mich frohen Mutes für die folgenden Tage in einen 3-Betten-Zimmer einrichten. Im Anschluß an das Dinner folgte ein multi-kultureller Tischtennis-Rundlauf. Zwischenzeitlich favorisierte ich hingegen vielmehr eine Backgammon-Partie; diesmal hatte ich ein solches Vergnügen mit einer Pariserin.

Montag, 11. November

Am ersten Tag der zweiten Arbeitswoche schien das Aufsuchen der Klinik erneut erforderlich, aufgrund Fingerverletzungen zweier Französinnen. Bald erreichten wir eine Wohnsiedlung, in der vorab geleistete Arbeit nun zu ergänzen war. Jenesmal sollten die Bäume entlang der Hausgrundstücksgrenzen in den Bürgersteig eingepflanzt werden. Im Laufe der Begrünungsaktion hatte die Grenoblerin wohl überlegt, daß zur Verschönerung der Siedlung gleichermaßen die Beseitigung von allerlei Unrat gehört und begann damit auf einer freien Grasfläche inmitten einer Häuserzeile. Da war ich sprachlos; freilich schien nun ein aktiver Solidaritätsbeitrag selbstverständlich, was eine Pariserin offensichtlich ähnlich sah. Also beteiligten wir uns ab und zu bei der Gestaltung der Baumflora sowie bei der Säuberungsaktion, wobei ich u.a. einigen Kehricht aus einer Schlucht zwischen einer Häuserfront und der angrenzenden Straße aufstöberte und nach oben beförderte. In der Teepause bezeichnete die Grenoblerin sich schon als "Garbage-Woman" und achtete -wahrscheinlich scherzhaft - darauf, daß keine Apfelsinen-Schalen auf dem Boden landeten. Nachträglich bemerkte ich dazu, Orangenschalen seien immerhin leicht kompostierbar, also weniger problematisch (, - abgesehen von einer eventuell aufkommenden Rattenplage). Eine Anwohnerin fragte bereits, ob wir von Greenpeace seien; das waren wir gewiß nicht, aber Sympathie mit Greenpeace sei schon da. Unterdessen ließ sich der Gençtur-Chef blicken, um bei unserer emsigen Arbeit zuzuschauen bzw. mitzumachen. Später brausten wir abermalig zu dem Grünstreifen mit dem tiefen Wasser- bzw. Müllgraben, um am rechten Rande dieser Kluft die Aufforstungen fortzusetzen. Unterdessen machte sich der Landsmann aus Niedersachsen vornehmlich dadurch auf sich aufmerksam, indem er das Deutschlandlied pfiff und mit einem ausgestreckten Arm gestikulierte. Freilich ist es nicht gerade einfach, zu erraten, ob sein Verhalten einen bloßen Ulk darstellen oder eine bestimmten Gesinnung bezwecken soll.

Neben einem erneuten Tischtennis-Turnier im Kantinenhaus des Agrarhofes, dachte sich die Workcamp-Chefin A. für den Aufenthalt in der Teestube zu später Stunde ein außerordentliches Spiel aus. Dabei wurden auf den Stirnen jeweils ein Zettel geklebt, die mit je einer berühmten Figur aus der realen oder fiktiven Welt beschrieben waren, und welche von den jeweiligen Personen erraten werden sollten. Im Laufe von mehreren Fragerunden erfuhr ich allmählich, daß ich ein weißer amerikanischer Musiker der 1950er und -60er Jahre sein soll. Zeitlang hätte ich als US-GI in Deutschland gelebt, an Tablettensucht gelitten; und die Tochter wäre vorübergehend mit Michael Jackson liiert gewesen. Selbst bei der Betrachtung im Spiegel konnte ich nicht glauben, daß das der tolle Elvis Presley sein soll!

Dienstag, 12. November

Zu Beginn der Arbeitszeit ergänzten wir die Aufforstungen an der rechten Seite des 'Müllbachs'. Zuzüglich galt es, das Rasenfeld des Sportzentrums mit Bäumen zu verzieren. Nachmittags begutachteten wir unser vollendetes, florierendes Werk, welches wir an dem Montag eine Woche im Voraus auf einem Schulgelände erbracht hatten. Hernach flüchteten wir in den Schulkiosk-Raum neben dem Hauptgebäude, um Tee und Kekse zu kosten und die Kids draußen zu beobachten. Kurz vor der Weiterfahrt entstanden außerdem einige Photos zwischen zwei ausgewachsen Bäumen am Sportplatz des Schulhofes. Allerdings war es irgendwann schwierig, die HauptdarstellerInnen auf den Aufnahmen zu entdecken, da die Bilder bald von Kindern überfüllt wurden, und zudem kam ich irgendwie mit diesem fremden Apparat nicht zurecht.

Abends schaute ich mit neugierigem Blick in der Cafeteria des Turnhallengebäudes unseres Unterkunftsterrains vorbei. Dort hielten sich einige türkische Lehrlinge auf. Es kam zu einer Unterhaltung, während mir Tee serviert wurde. Im Verlauf des Geplauders wurde zunächst über deutsche und türkische Fußballvereine gesprochen, dann etwas über die unterschiedlichen Kulturen und Festen. Und in diesem Zusammenhang fragte ich sie zunächst, wie ihnen Bayram und Ramadan gefiele und schließlich hinsichtlich des Newroz-Festivals. Bekanntermaßen ist bei dieser Frage Vorsicht geboten, weshalb wir danach zu einem anderen Thema übergingen. Im Anschluß daran zogen wir gemeinsam zu dem Unterrichtsgebäude. Dort wurden mir alle Schulklassen sowie die einzelnen Lehrer vorgestellt. Und immer wieder bekam man - ohne jegliche Kritik - den Meister Kemal Atatürk zu Gesicht! Immerhin hatten u.a. Kemal Atatürk und die britischen Kolonialisten das Osmanische Reich aufgeteilt ohne Berücksichtigung der ethnischen Minderheiten.

Im Teehaus wurden gegenseitig die Kinderfotos zum Betrachten ausgetauscht. Ich hatte meine Bilder zwar nicht dabei, aber pflichtgemäß versprochen, diese in unbestimmter Zukunft per E-mail nachzusenden.

Mittwoch, 13. November

Für jenen Tag war ausschließlich Aufforstungs-Aktionen für annähernd zwei Stunden vorgesehen. Die Arbeiten begannen in Söke auf einer mit Gras bewachsenen Liegenschaft geringerer Größe. Zwischendrin kam - wahrscheinlich aus reiner Neugier - der deutsch sprechende Klinikdoktor vorbei. Die tatkräftigen Leistungen wurden fortgeführt auf einem abschüssigen Ackerfeld in der Söker City, wo die fleißigen Knechte letztendlich für einige Photos bereitstanden. Die nunmehrige Tagesplanung gestattete uns einen Bummelgang über den Söker Basar. Wenn ich Millionär gewesen wäre, hätte ich vielleicht einige begehrenswerte, kulturelle Schnickschnack-Waren mitgenommen. Hiergegen begnügte ich mich hingegen mit geringfügigen Nützlichkeiten. Mit fortschreitendem Blick, gelangten wir zu einem Platz, wo ein zirka 12-jähriger Junge mit einem mysteriösen Kasten herumlief und die Passanten ansprach. Als ich näher kam, realisierte ich, was er wollte. Er wollte ernsthaft meine Schuhe putzen und somit etwas Geld verdienen. Damit hatte er mich zu einer schwierigen Entscheidung gebracht. Schließlich kann man eine solche Tätigkeit des Minderjährigen als Kinderarbeit betrachten, und das ist verboten (›ILO = International Labour Organisation). Zudem sollen Kinder vorrangig die Schule besuchen. Nach einiger Weile Zögern und etwas Feilschen (, obwohl ich das nach eigenen Bekunden gar nicht kann und bei Dienstleistungen angeblich nicht okay sei,) hatte ich dem Service des Buben doch zugestimmt mit der Hoffnung, daß es den Jungen erfreut und für ihn ein guter Zweck ist. Wieder einmal hatte ich die falschen Schuhe, nämlich die Bauarbeiter-Schuhe an. Des ungeachtet boten diese im Nachhinein einen glänzenden Blickfang dar. Vielleicht wird das Spektakel darüber hinaus in lustiger Erinnerung bleiben. Nach dem Besuch eines Internet-Cafés sammelten wir auf dem Bauhof-Gelände einige Orangen und Mandarinen ein für den eigenen Verzehr. Es folgte abermals die Eskorte zum Sportzentrum. Dort sollten wir auf dem Grasfeld je einen eingepflanzten Baum mit unseren Namen versehen und uns anschließend auf der Außentreppe relaxen. Eine Teilnehmerin bewies ganz beiläufig einige Karate- und Boxkünste gegenüber einem Ingenieur. Nachmittags betrat ich mit einer feinen Hose, - die mir der der Hannoveraner K. überlassen hatte -, unvorbereitet die Sporthalle. Ein Großteil der WorkcamperInnen war da schon versammelt. Auf den Plan stand nun ein Basketball-Spiel. Mein Treffer im Basketballkorb war in der Tat verwunderlich, aber nicht die Niederlage meiner Spielerschaft. Schließlich waren wir mehrheitlich die Gehandikapten, und die andere Gruppe hatte einen 'Michael Jordan', verkörpert durch den langen Franzosen aus Lyon. In Folge des Matches war eine gute Verschnaufpause notwendig, alsdann türkische Schüler wegen Gymnastikübungen in die Halle strömten. Zu Beginn liefen sie am Rande einige Runden um uns herum. Also dachte ich mir, ein wenig Solidarität kann nicht schaden und flitzte hinterher. Die anschließende Gymnastik fand ich hingegen weniger interessant und zog mich ermattet zurück.

Nachdem Abendessen sollten wir Papp-Collagen, mit unseren Kommentaren verzieren. Die Papp-Collagen wurden bereits von der Koreanerin mit Figuren und deren Merkmalen versehen. Der Schweizer kam diesmal etwas spät, da er die Schule hatte noch besuchen müssen.

Donnerstag, 14.November

In der Frühe begab ich mich als erstes auf die Terrasse an der oberen Etage unseres Unterkunftsgebäudes, um den heiteren Morgen zu begrüßen. Ehe ich mich versah, war die Tür in den Riegel gefallen und ich ausgeschlossen. Glücklicherweise kam eine Mitbewohnerin unterhalb der Terrasse vorbei und befreite mich aus dieser Gefangenschaft infolge meines französischen Gestammels. An jenem letzten Tag in Söke standen einige Überraschungsaktionen der Gemeinde an, nachdem wir wieder Proviantpakete erhielten. Während des langwierigen Wartens auf den Bus vertrieben wir uns die Zeit u.a. mit Ballspielen, wozu Orangen und Mandarinen herhalten mußten. Der Niedersachse behauptete zwar - wahrscheinlich ironisch -, es sei taktlos, mit Nahrungsmitteln herum zuspielen, angesichts der Hungersnot in der '3. Welt'. Diesbezüglich ist zu erwidern, daß das Spielen mit naturgegebenen Nahrungsmitteln Niemandem schadet im Gegensatz zu Waffenspielereien. Ich wollte die wenigen 6 km bis zur City schon zu Fuß loslaufen, was für die Ökologie und für den eigenen Körper wahrlich gesünder ist. Nachdem der Ötobüsü uns endlich und anschließend den deutsch sprechenden Einheimischen sowie weitere Ingenieure abholte, lenkte der Fahrer den Wagen in Südrichtung zu einer Ägäis-Bucht. Bei sommerlichem Wetter hielt mich das extrem versalzene Meerwasser nicht davon ab, durch die Wellen zu stapfen und hinaus zu schwimmen (Griechenland war ja nicht weit!). Dabei war ich gar nicht der einzige, denn die Finnin hatte dieselbe Idee. Im Wasser trieben einige winzige Krebse, bei denen - trotz fühlendem Sinn - unklar war, ob sie noch lebten. Am Ufer brutzelten etliche Spieße in einem Lagerfeuer, während einige Hunde zuschauten. Nachfolgend setzten wir die Abenteuerreise mit dem Fahrzeug fort. Danach landeten wir am Bafensee, ein Binnengewässer. Zunächst diente ein hochgelegener Aussichtspunkt mit einer riesigen Steinmauer in direkter Nachbarschaft als Ruhestätte. Als die anderen "Free-Willys" über die steile Felsböschung zum See hinabstiegen, erschien unversehens eine ältere Dame, die sämtliche Schmuckketten verkaufen wollte, wovon ich nach langem Zögern mir ein Armband auswählte, ehe ich zum Strand hinterhereilte. Die Kette habe ich leider nicht mehr, da ich sie inzwischen weiter verschenkt hatte, bevor ich in die stillen Fluten des Gewässers sprang. In dem großen Pfuhl entdeckte ich eine Insel. Also sah ich es als meine Aufgabe an, dieses Eiland zu erkunden. Auf halber Strecke begegnete ich einen herausragenden Felsen, kraxelte diesen hinauf und winkte den Leuten am Ufer zu. Die riefen bereits, ich solle zurückkehren. Doch ich hörte gar nicht darauf, denn ich mußte ja zur einsamen Insel. Dort angekommen, hatte ich zuerst einen steilen, etwas bewachsenen Felshang hinaufzusteigen und gelangte durch einen Torbogen auf die Innenseite einer Festungsruine. Die pieksende Bodenvegetation waren für meine Barfüße nicht unbedingt angenehm. Folglich kletterte ich auf die Festungsmauer und winkte den Rufenden am Strand erneut zu. Die Rückseite des Atolls war allemal wesentlich flacher, wo die Gehversuche vermutlich leichter sein mögen. Demgemäß marschierte ich rundherum über reine Naturgegebenheiten hinunter zu den Schilfgründen am hinteren Wasser. Mitten auf der Insel fühlte ich mich so frei wie Robinson Crusoe; zufällig war sogar fast Freitag, nämlich erst Donnerstag. Und nun sollte ich diese friedliche Wildnis wieder verlassen! Mit drängender Eile schwamm ich durch einen Mauerbogen der Burgruine hindurch, links der Insel herum Richtung Ufer. Die Rückroute bis zum Strand war wesentlich kürzer als der Hinweg, und bald verspürte ich festen Sandboden unter meinen Füßen. Entlang der Schilfgewächse watete ich durch das Flachwasser zu den anderen WorkcamperInnen zurück. Doch wegen mir kamen wir sodann mit erheblicher Verspätung zum Bürgermeister, um die Präsente (weißblaue Souvenir-Teller und Dreiecksfahne mit Söker Symbol) entgegenzunehmen. An einer Landstraße mußte der Lyoner im Nachhinein verabschiedet werden und wurde von einem Reisebus mitgenommen. Während des langwierigen Wartens, wurde die Zeit vertrieben u.a. durch diverse türkische Spruchmelodien, wovon eines ungefähr derartig klang: "Zacke, zacke, Zecken-Haar". Wir, die restlichen FreiwilligendienstlerInnen legten eine kurze Pause im Sportzentrum ein, erfuhren über TV französische Nachrichten über ein afrikanisches Spannungsgebiet und kehrten zu unserer Herberge zurück. Dort packten wir unsere Habseligkeiten und Koffer und starteten ebenfalls die Rückreise mit einem Überlandbus nach Istanbul.

Rückreise nach Istanbul

Bedauerlicherweise machte das Großraum-Fahrzeug weder einen Abstecher zu dem ca. 300 km östlich gelegenen Pamukkale noch zu der benachbarten griechischen Insel Samos, - zwei Touristenattraktionen, die zweifelsohne noch sehenswert gewesen wären. Stattdessen wählte der Busfahrer den direkten Weg nach Istanbul, während Monitore mit einem Actionfilm für Unterhaltung sorgten. Auch von Izmir war nicht viel zu sehen, und die antike Stadt Troja wurde außerdem links liegen gelassen. Unterdessen erfuhr ich von einer Französin, daß ihr Freund offensichtlich derzeit einen Freiwilligendienst in Süd-Thailand abgeleistet und dort Englisch unterrichtet hatte. Diesmal erreichten wir die Fähre am Marmarameer ziemlich schnell. Wahrscheinlich hatte ich im Omnibus überwiegend geschlafen. Dagegen war ich auf der Fähre hellwach, - während die meisten schlafend im Bus verweilten.

Freitag, 15.November

Nach dem Einfahren des Omnibusses in das einstige griechische Byzanz sowie der Ansteuerung auf den Busbahnhof, durften wir einen deutschen Teilnehmer in den Stadtbus zum Flughafen verabschieden. Mit dem zweiten Kleinbus starteten wir los zu einer Metro-Station, von dort zur Haltestelle Çemberlitas, und die letzten Meter zum 'Cordial House' konnten wir zu Fuß zurücklegen. Während die anderen richtige Abenteuerrucksäcke trugen, hatte ausgerechnet ich, der Zugliebhaber, sämtliche unbequeme Taschen im Gespann, die anscheinend nicht sehr viel aushielten. Das Reisegepäck konnte nun in unseren Zimmern ruhen, derweil frühstückten wir in einer französischen Konditorei. Auf dem Rückweg begegneten wir einem Typen, der ein Produkt von 'Fahrenheit' verkaufen wollte. Da hatte ich gemeint, das wäre doch etwas Amerikanisches (Temperaturmaßeinheit). Er entgegnete, no, no, French. Ei Logo, da hatte er recht, auf dem Produkt stand doch drauf 'Eau de Toilette'; das ist wirklich französisch und heißt zu deutsch: "Wasser vom Klo". Apropos Klo, während der anschließenden lang anhaltenden Verschnaufpause in unseren Räumen hatte ich dann die Gelegenheit, die Toiletten des 'Cordial Houses' zu inspizieren und mit ähnlichen besichtigten Örtchen zu vergleichen. Mit Ausnahme von einigen Touristen- bzw. Vergnügungszentren waren die landläufigen Bedürfnisanstalten häufig lediglich mit Plumpsklos (niedrige Porzellanschüsseln mit Fußabdrücken und zentrierten Loch) versehen sowie einem Eimer Wasser anstatt üblicher Hygienemittel. Solche Ausstattungen erfüllen nicht den in Deutschland / Europa gebotenen Standard. Das 'Cordial House' hatte immerhin eine gute Qualität mit ausschließlich 'europäischen' Toilettenarten, unbeachtet des wenig genüßlichen Wassers aus dem Wasserhahn und fehlenden Türen innerhalb einiger Bedürfnisanstalten. Gewiß sind die religiösen und kulturellen Gründe zu berücksichtigen, welche die schlichten Ausstattungen beeinflussen.

Anstatt des Bummelgangs durch die City, entschied ich mich hiergegen ich dafür, bei Topkapi-Palast und Hagia Sophia vorbeizuschauen. Schließlich war ich bei denen bisher noch nicht eingedrungen. Mit dem Stadtplan in der Hand lief ich zuvörderst durch den Basar-Tempel (Kapaliçarsi), an einer Hochschule vorbei, am nördlichen Teil der Istanbuler City-Halbinsel herum, entlang des 'Goldenen Hornes'. Während des Weges begegnete ich etlichen Kindern, die ihre Kegel-Jojos verkaufen wollten. Sie waren schon etwas nervig, und es war gar nicht leicht, sie abzuschütteln. Gut, ich versuchte viel Verständnis und Geduld aufzubringen; ein zweites Kegel-Spielzeug wollte ich ohnehin noch haben, aber dann hatte ich wirklich genug. Nachfolgend gelangte ich vorbei am Bahnhof Sirkeçi in die Nähe des Topkapi-Palastes. Doch ein Militärgelände versperrte mir den Zugang zu den Parkanlagen des Palais. Als ich an dessen Vordereingang kam, war ich schon zu spät, und die höflichen Soldaten verwiesen mich auf den nächsten Tag, ehedem sie bemerkten, daß ich ja die deutsche Sprache beherrsche. Leider war auf der gesamten Route keine Ant-Kriegs-Demonstration zu entdecken. Später besuchte ich zusammen mit den anderen WorkcamperInnen den Bazar-Tempel, wo wir uns an einer Couchgarnitur niederließen und Wasserpfeife sowie verschiedene Getränke genossen. Nachträglich durchwanderten wir die Kirmes in der Nachbarschaft zur Blue Mosque. Am 'Cordial House' schrumpfte die TeilnehmerInnenzahl um zwei weitere Leute.

Samstag, 16.November

An dem letzten Tag meines Türkei-Aufenthaltes stand abermals ein Stadtbummel bevor. Jedoch entschloß ich mich nochmals dazu, zu Topkapi-Palast und Hagia Sophia zu gehen. Dabei schien ein Eindringen für mich schon deswegen abwegig, weil die Eintritte für meine Bescheidenheit unbezahlbar waren. Bei der Topkapi-Residenz kam ich immerhin ein gutes Stück in deren Binnenhof voran und mußte wieder zurück, ehe ich einen Einblick in das Innenleben der Hauptgebäuden hätte gewinnen können. Innerhalb der Festungsmauer lief ich Richtung Marmarameer hinab, entlang den Eisenbahngleisen, unter diesen hindurch zu einem Bolzplatz, wo einige Kids Fußball spielten. Infolge der Erkletterung der Außenmauer blickte ich auf die tiefgelegene Küstenstraße, überquerte diese und genoß die Meeresfrische. Nach einigen zurückgelegten Kilometern in westlicher Richtung gelangte ich an einen Hafen mit Fähranlegestelle sowie zu einem Fischmarkt. Mit weiteren laufenden Schritten entdeckte ich ein zerstörtes, auf der Seite liegendes Schiff, dessen Mäste über das Ufer hinausragten und für eine Schaukelaufhängung gut geeignet schienen. Kurz darauf wanderte ich zurück Richtung Aksaray bzw. zu der in Ost-Westrichtung befindlichen Hauptverkehrsachse und diese entlang zum 'Cordial House', wo ich auf die restlichen Workcamperinnen wartete. Von dem angebotenen Effes-Bier (benannt nach Ephesus, wird aber in Izmir gebraut) genügten mir schon ein paar Schluck, denn ich mußte ja nüchtern zum Bahnhof wandern und verabschiedete mich zusammen mit meinem Reisegepäck.

Heimfahrt nach Wiesbaden, Deutschland

Als ich kurz nach 23.00 Uhr am Sonnabend in den Zug einstieg, der mich zufolge der Informationstafel und eines Zugbegleiters nach Budapest hätte bringen sollen, stieß ich auf einen hilfsbereiten, etwa 25- bis 30-jährigen Typen, bei dem ich nicht genau weiß, ob er aus dem heimischen Südosteuropa, aus Vorderasien oder aus Nordafrika stammt. Anscheinend ganz selbstlos trug dieser Kerl meinen Koffer zu den für mich vorbestimmten Zugabteil. Verlegen und unwissentlich nahm ich seine Unterstützung an, sintemal ich etliches an Gepäck hatte und der Weg durch mehrere Zugwaggons zu meiner Kabine eng und erschöpfend weit war. Jedoch verlangte er im Nachhinein Bezahlung für seine Leistung. Da war ich zuerst baff und hatte es augenblicklich und bald eingesehen, weshalb ich ihm meine letzten Lire aushändigte. Ehrlicherweise war ich froh, daß ich nur wenige Geldscheine besaß und sodann keine weiteren Zahlungsmöglichkeiten hatte, ungeachtet seiner beharrlichen, andauernden Moneten-Forderungen. Zwischendurch verschwand der Fremdling mal und kam wieder, um mich erneut mit seinen Wünschen zu nerven. Gewalttätig wollte er nach eigenen Bekunden und Gestik nicht werden, auch wenn mir etwas bange war. Immerhin konnte ich seine Bedürfnisse ein bißchen mit etwas Knabberzeug und Getränken befriedigen. Spätestens nach dem ich jenen Zugkameraden meine Taschen durchwühlen ließ, erkannte er, daß bei mir kein einziger Groschen zu holen war. An Stelle dessen schenkte ich ihm die feine Hose von dem Hannoveraner, worüber sich der Fremdling überglücklich zeigte, und welche er sofort anprobierte. An der Grenze wurde ich zu Mitternachtszeiten zur Zollstation in den Bahnhof bestellt, um meinen Reisepaß vorzuzeigen. Zu aller Verrücktheiten kam nun hinzu, daß ich in der Bahnstation einen Fragebogen über meinen Aufenthalt in der Türkei erhielt, wofür mir ein Sitzplatz zum Ausfüllen angeboten wurde. Auf diesen Quatsch ließ ich mich indessen nicht ein, denn ich mußte ja wieder in den Zug. Die Nachtfahrt danach war vergleichsweise ruhig, wenngleich der Fremdling es sich in meinem Abteil zum Schlafen gemütlich machte. Irgendwo in Bulgarien nahm er schließlich Abschied. Während der weiteren nächtlichen Zugreise durch den kyrillischen Landstrich, wollte der Schaffner zusätzlich einige Moneten von mir abknöpfen, da ich den Sitzplatz ja nicht reserviert hatte, trotz meines Rückfahrtickets. Nach einiger Zeit hatte er ein Einsehen mit mir, angesichts meiner deutlichen Offenbarung über meine augenscheinliche, blanke Bargeldlosigkeit. In der rumänischen Hauptstadt Bukarest wurde ich am frühen Sonntag Morgen unerwartet aus dem Schlaf geweckt, als das Säuberungsteam der Eisenbahn behauptete, ich müsse den Zug verlassen. Total verunsichert erwiderte ich, im Abteil bis Budapest gerne bleiben zu wollen. Alsbald hatte ich zu realisieren, daß ich auf einem Abstellgleis gelandet war. Aufgrund dessen mußte ich hieraus und in Begleitung eines Bahnarbeiters über die Gleisen steigen, zu einem anderen Schienenfahrzeug und gelangte mit diesem in den Bukarester Hauptbahnhof. Am dortigen Touristenschalter stieß ich auf einen privaten Taxifahrer, der mich schon mal auf der Hinfahrt nach Istanbul in Verzweiflung brachte, und dessen Hilfe ich dankend ablehnte. Schließlich nahm ich im Zug nach Budapest Platz. Unterdessen bemerkte ich, daß ebenso in diesem Lande etliche Vokabeln anscheinend aus dem Französischen stammen. Ungewöhnlich ist dies freilich nicht; gehört Rumänisch doch gleichfalls der lateinischen Sprachfamilie an. Das Durchstampfen des Lokomotivgespanns durch die Republik beanspruchte im überwiegenden Maße den Sonntag und den Montag. Aber von den romantischen Karpaten war wegen meines Schlummerns derzeit wenig zu besichtigen. Bei ausreichend Lesestoff und nach fortschreitenden Waggongleiten durch das Flachland Rumäniens, besuchten mich am Montag wieder einmal - genauso wie an jeder Landesfront - die nervigen Grenzkontrolleure beiderseits der rumänisch-ungarischen Trennungslinie. Erfreulicherweise durfte ich nunmehr in meiner Zugkabine sitzen bleiben. In Budapest brauchte ich mich nicht in die Metro zwängen, sondern durfte mich innerhalb des markanten Sackbahnhofs über den strapaziösen, weiten Weg zu dem äußersten Gleis schleppen und auf das relativ moderne Bahnfahrzeug aus Belgrad warten, welches mich im österreichischen Wien ablieferte. Im modernen Bahnhof der Kapitale Austrias wurde ich vom Wahlkampf begrüßt, angesichts des gerade bevorstehenden Bevölkerungsentscheids über die künftige parlamentarische Legislaturperiode, und im ansässigen Lebensmittelmarkt gab es sogar Pfandflaschen. Ich fühlte mich schon fast wie zu Hause. Selbst der Nachtexpreß nach Deutschland vermittelte ein vergleichsweise heimisches Gefühl, hatte einen exquisiten Standard und war dementsprechend teuer. Für einen gut gepolsterten Sitzplatz - ohne richtige Schlafmöglichkeit - sollte ich rund 10,00 Euro aufbringen. Im Zuge der Weiterfahrt tauchten hinter der österreichisch-bayrischen Borderline zwei BGS-Beamte auf, von denen der eine beinahe so sympathisch aussah wie der 'Tatort'-Kommissar Leitmayr. Zollkontrolleure gibt es innerhalb der EU ja nicht mehr. Daher wird deren Aufgabe nun von einschlägigen Polizisten übernommen, die berechtigt sind, auf der gesamten Zugroute zu kontrollieren. Dabei interessieren sie sich v.a. für Personen, die 'illegal' in die BRD eingereist sind bzw. kein Bleiberecht im Lande haben. Diesen gegenwärtigen Mißstand eines weitaus komplizierteren Themas gefällt allerdings einigen Leuten nicht, die u.a. darauf aufmerksam machen, daß Flüchtlingsursachen bekämpft werden müssen und nicht Flüchtlinge. Schließlich können viele von den Heimatvertriebenen nach der derzeitigen Gesetzeslage auf leichte Weise kriminalisiert (z.B. wegen der Residenzpflicht) oder anläßlich möglichen Arbeitsverbots und damit verbundener Ausweglosigkeit in die Illegalität getrieben werden. Hierbei sind - u.a. auf politischer Bühne - Überlegungen über Alternativen geboten, die den betreffenden Menschen hierzulande genauso wie in den Herkunftsländern wohnliche Lebensumstände ermöglichen bzw. erhalten bleiben. Nach unbequemen Dämmerschlaf lief der Zug im Mainzer Hauptbahnhof ein und erleichterte mir das Umsteigen in den Citybus nach Wiesbaden. Zum Abschluß meiner gesamten Abenteuerexkursion war ich Dienstag um 8.00 Uhr daheim angelangt und hatte wahrhaftig ein langes Nickerchen verdient.

Abschlußkommentar zum Freiwilligendienst

Selbstverständlich darf die kritische Auseinandersetzung hinsichtlich eines entsprechenden Workcamps nicht fehlen. Eine solche Arbeitsreise kann ggf. als - ein evt. durch BAFöG unterstütztes - Praktikum für einen künftigen Job oder Studium nützlich sein (leider war dafür der Dienst in Söke zu kurz, dafür preislich relativ günstig und zeitlich sowie entfernungsmäßig vergleichsweise naheliegend). Die Mission in Söke wurde von der UNESCO subventioniert und von der deutschen Organisation 'Internationale Begegnung in Gemeinschaftsdiensten' vermittelt, welche evt. die Fahrtkosten rückvergüten kann. Die Hauptaufgabe unseres Freiwilligendienstes war bekanntlich das Baumpflanzen in der Gemeinde Söke. Da hatten wir gewiß eine nützliche Tätigkeit. Denn in Pflanzen findet die Photosynthese statt, und vegetative Lebewesen speichern das auf der Erde lebensnotwendige CO2, (Kohlendioxid). Auf diese Weise sorgt die Flora dafür, daß das CO2 nicht in die Stratosphäre entweicht, wo es sich hingegen als ein für die Ozonschicht schädliches Treibhausgas entfaltet. Überdies dient ein Wald, der nach Möglichkeit ein Mischwald sein soll, in Gebirgslagen als natürlicher Schutz vor (Schnee-) Lawinen und Erdrutschen (Muren). Also ist die Baumvegetation in demselben Maße effektiv geeignet für den Hochwasserschutz oder gegen Desertifikation (Wüstenausbreitung), Erosion - und somit unentbehrlicher Katastrophenschutz. Die Ortsbegrünung trägt zur Luftreinhaltung, erhöhten Sauerstoffgehalt sowie zur Verschönerung des Ortes bei. Angeblich soll die Cityflora für die Fauna (Tierwelt) sogar angenehmer sein als das überdüngte Landleben. Demgemäß hieß unser Motto: "Söke soll schöner werden", als wir die Landschafts- bzw. die Stadtgestaltung verrichteten (Jedoch könnte es sein, daß die Bäume wieder gefällt werden, z.B. wegen evt. fehlender Baumschutzsatzung.). Resümierend darf man die Workcamp-Aktion nicht nur als eine agrartechnische, sondern ebenfalls (wenn auch indirekt) als eine ökologische Leistung oder als Entwicklungshilfemaßnahme betrachten.

In dieser Hinsicht ist unsere Beschäftigung höchstwahrscheinlich hilfreich gewesen, genauso wie für den Kontakt zwischen uns, den WorkcamperInnen aus unterschiedlichen Nationen, und den Einheimischen. Möglicherweise kann eine adäquate Arbeitsreise den Abbau bzw. die Vermeidung von eventuellen Vorurteilen und Mißverständnissen bewirken. Also darf man den generellen Freiwilligendienst als gutgemeinte, soziale Aktion ansehen, welche nicht ausschließlich die kommerziellen Bedürfnisse befriedigt, sondern vorrangig eine bessere Völkerverständigung und evt. das Kennenlernen der vorherrschenden, örtlichen Kulturen bezweckt (In der Praxis waren Verhaltens- und Kleiderordnungen sogar etwas lockerer als in der Anweisung der Vermittlungorganisation beschrieben.). Auch für Leute, die politisch interessiert sind, gilt eine derartige Auslandsreise als praktische Bereicherung für den persönlichen Erfahrungsschatz, wobei u.a. gerade die vielfältigen (- mehr oder weniger ehrlichen -) Armutserscheinungen (während des Aufenthaltes in Istanbul, in der Söker Region sowie bei der Hin- und Rückfahrt) nachdenklich stimmen.

In der Realität hatte die Exkursion allerdings nicht ganz meinen Vorstellungen entsprochen. Baumpflanzen ist lediglich eine ökologische Maßnahme von einem vielfältigen Spektrum. Niemand ist perfekt. Doch zu einem ökologischen Bewußtsein, welches mittels des Freiwilligendienstes insbesondere bei Umweltschutz praktizierenden Organisationen vermutlich angelernt werden sollte, gehört gleichwohl der nachhaltige Umgang mit den kostbaren Ressourcen. Dabei könnte man eventuell kritisch bedenken, daß wir mit dem Arbeitsbus stets durch die Gegend chauffiert wurden, was nicht unbedingt nachhaltig und nicht immer nötig gewesen ist (gute Frage nach öffentlichen Nahverkehrsmitteln). Die Hauptmotive für diesen Freiwilligendienst waren vorzugsweise das Kennenlernen der einzelnen TeilnehmerInnen untereinander sowie Spaß und Vergnügen in einem mehr oder weniger unbekannten Land. Eine Studienreise mit kritisch-politischem Charakter war freilich nicht zu erwarten. Vielleicht wäre ein politisches Engagement bei anderen Freiwilligendienst-Reisen (Journalismus, Friedens-, Menschenrechtsarbeit) eher der Fall gewesen.

Möglicherweise gibt es unterschiedliche Arten von Freiwilligendiensten in verschiedenen Regionen. Vielleicht ist zu unterscheiden zwischen armen und reichen Ländern als potentieller Einsatzort. Denn gleichermaßen ist zu bedenken, daß ggf. die Einstellung von schlecht bezahlten / überdurchschnittlich bezahlten Arbeitskräften genauso kontraproduktiv sein könnte wie die Einfuhr von Gerätschaften oder Geldspenden hinsichtlich einer sinnvollen Entwicklungshilfe eines jeweiligen Landes. Schließlich besteht das langfristige Ziel einer zweckmäßigen und nachhaltigen Entwicklungshilfe darin, daß potentielle hilfsbedürftige Länder oder Individuen sich selbst versorgen können und nicht in eine dauerhafte Abhängigkeit von dubiosen Tycoons, Staaten oder Konzernen geraten. Gewiß ist die Türkei kein typisches Entwicklungsland, sondern ein Schwellenland. Dennoch zählt die Türkei zu den Empfängern von Entwicklungshilfe, die u.a. aus Deutschland kommt.

Vielleicht sind die ein oder anderen Handlungen (z.B. Müllsammeln, diverse Geschäfte mit minderjährigen HändlerInnen,) nicht immer sinnvoll gewesen oder können bisweilen lediglich als bloße Gesten des guten Willens bewertet werden. Nichtsdestotrotz möchte ich den Freiwilligendienst im Ausland weiter empfehlen. Auf diese Weise ist möglicherweise erkennbar, welche Entwicklungshilfe und andere Erfordernisse zweckmäßig sind, und daß präventive Friedenssicherung auf zivile Weise praktikabel ist.